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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 52.1941

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Michel, Wilhelm: Das feste Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.12314#0338

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INNEN-DEKORATI ON

DAS FESTE LEBEN

Auf die Gefahr hin, manchen Leuten altmodisch zu
Xi.erscheinen, hole ich meinen liebsten Traum her-
vor und stelle ihn zur Schau: den Traum vom festen
Leben. Was ist es mit ihm? Wie ist er entstanden?

Ich bin in einer Stadt zur Welt gekommen, und
mein Beruf hat mich immer in Städte geführt. Aber
aufgewachsen bin ich im Dorf. Ich habe in der Dorf-
schule neben Alterskameraden gesessen, die dann
später Kleinbauern und Fuhrleute, Steinhauer und
Forstarbeiter wurden, und hoch über Schul- und
Elternhaus, über Dorfstraße und Schienenweg ragten
ringsum die Berge, gekrönt mit Wäldern und rotbrau-
nen Sandsteinfelsen, die wie mächtige Altanen ins
enge Tal vorsprangen. Ich will nicht davon sprechen,
was es für ein Glück ist, in dörflichen Verhältnissen
aufzuwachsen, nah verbunden mit Wald und Feld und
mit dem Leben der Gewerbe, die das Klingen des
Schmiedehammers, das Kreischen der Tischlersäge,
das Knarren der Wagen bis zur alten Burg hinauf-
sandten, wenn ich oben vom bemoosten Felsen aus

in die Wolken träumte. Beglückender als das hat sich
meinem Geiste die menschliche Festigkeit des Dorf-
lebens eingeprägt, das Bild der Familien in ihren
Häusern, wo fast überall eine Großmutter die Enkel
hütete, während die junge Frau in Küche und Stall
schaffte und der Mann im Steinbruch, im Wald als
Holzmacher arbeitete oder mit dem kleinen Küh-
wägelchen zum Futterholen hinausgefahren war.
Alter und Jugend schlössen sich in jedem Hause sinn-
voll aneinander und leisteten sich die ewigen schönen
Dienste, die sie einander schulden.

Fast in jeder Wohnstube der Häuser ringsum hing
an getünchter Wand über der Kommode das alte Bild
von den »Lebensaltern«, eine farbige Darstellung der
menschlichen Lebensstufen vom Kinde bis zum Greis.
Und wie auf diesem Bilde waren auch im Hause die
Generationen beisammen. Das mußte so sein. War
es nicht ebenso in den Märchen, welche die Urahne
erzählte? Rotkäppchen hatte seine Großmutter, das
Brüderchen wurde vom älteren Schwesterchen be-
 
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