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DIENST UND AUSDRUCK
Zu unsrem Begriff von einem behaglichen Raum
gehört zweierlei: einmal, daß uns seine Geräte die
entspannten, angenehmen Körpergefühle, die uns be-
haglich berühren, tatsächlich gewähren, und zwei-
tens, daß er unsrem Auge das Behagliche als Bild zu
schauen gibt, daß er es augenfällig darstellt und »aus-
drückt«. Wäre der Mensch kein schauendes Wesen,
wie vieles, was seine Welt erfüllt, wäre nie erstanden!
Aber wie er nicht vom Brot allein lebt, sondern zu-
gleich von vielem leichten, luftigen Stoff an Vorstel-
lungen und Gefühlen, so verbindet sich überall in
seiner Welt das Sein mit dem Ausdruck, der faktische
Dienst mit dem schaubaren Bild. Hier meldet sich die
Grenze, die ewig der bloßen »Sachlichkeit« gezogen ist.
Im schauenden Wesen des Menschen ist alles ange-
legt, was die Kultur bunt und formenreich gemacht
hat. Und wenn wir sagen: im schauenden Wesen, so
ist damit alles gemeint, was im Menschen geistig ist
und Abstand nimmt, was sein Bewußtsein angeht. Er
treibt sein Leben nicht nur so vor sich hin, er dichtet
es auch ständig, wie jene Bootsmannschaften auf dem
Kongo, die während der Fahrt im Chorus die Dinge
besingen, die am Ufer vorübergleiten. Ein Dichter
solcher Art ist namentlich seit je der Architekt ge-
wesen. Er hat die Empfindungen gebaut, in denen der
Mensch jeweils seines Lebens inne wurde. Er hat das
nicht nur in der Errichtung von Tempeln und Palä-
sten getan. Er tut es heute noch jedesmal, wo er eine
raumgestalterische Aufgabe löst, sei sie noch so be-
scheiden. Er gibt dem Auge einen Vorgenuß von dem,
was der Raum bieten will; er zieht das Bewußtsein des
Eintretenden gleich von Anfang in das bevorstehende
Raumerleben herein; er gestaltet in dem Mittel der
Gebrauchsdinge die Gefühle. Wie dankbar sind wir
ihm, wenn ihm das gelingt! Wir empfangen doppelt
in solchem Fall: zur technischen Befriedigung der
Zwecke und Bedürfnisse das tiefe Behagen der Schau,
die Anrede an das innere Empfindungszentrum, des-
sen Billigung allein uns in jeder Situation heimisch
werden läßt. Lichtführung und Werkstoffe, Struktur-
linien und Farben, alles liefert dem Gestalter die
Worte, um diese Anrede zu formen. Aber nur wenn
er dichterisches Vermögen hat, binden sie sich sinn-
voll zum Gedicht und bestimmen die Phantasie. -
Aufnahmen: Hcdda Rcidt
»AUS DEM BEAMTENKASINO DER BUNTWEBEREI« ENTWURF: PROFESSOR OSWIN HEMPEL-DRESDEN
DIENST UND AUSDRUCK
Zu unsrem Begriff von einem behaglichen Raum
gehört zweierlei: einmal, daß uns seine Geräte die
entspannten, angenehmen Körpergefühle, die uns be-
haglich berühren, tatsächlich gewähren, und zwei-
tens, daß er unsrem Auge das Behagliche als Bild zu
schauen gibt, daß er es augenfällig darstellt und »aus-
drückt«. Wäre der Mensch kein schauendes Wesen,
wie vieles, was seine Welt erfüllt, wäre nie erstanden!
Aber wie er nicht vom Brot allein lebt, sondern zu-
gleich von vielem leichten, luftigen Stoff an Vorstel-
lungen und Gefühlen, so verbindet sich überall in
seiner Welt das Sein mit dem Ausdruck, der faktische
Dienst mit dem schaubaren Bild. Hier meldet sich die
Grenze, die ewig der bloßen »Sachlichkeit« gezogen ist.
Im schauenden Wesen des Menschen ist alles ange-
legt, was die Kultur bunt und formenreich gemacht
hat. Und wenn wir sagen: im schauenden Wesen, so
ist damit alles gemeint, was im Menschen geistig ist
und Abstand nimmt, was sein Bewußtsein angeht. Er
treibt sein Leben nicht nur so vor sich hin, er dichtet
es auch ständig, wie jene Bootsmannschaften auf dem
Kongo, die während der Fahrt im Chorus die Dinge
besingen, die am Ufer vorübergleiten. Ein Dichter
solcher Art ist namentlich seit je der Architekt ge-
wesen. Er hat die Empfindungen gebaut, in denen der
Mensch jeweils seines Lebens inne wurde. Er hat das
nicht nur in der Errichtung von Tempeln und Palä-
sten getan. Er tut es heute noch jedesmal, wo er eine
raumgestalterische Aufgabe löst, sei sie noch so be-
scheiden. Er gibt dem Auge einen Vorgenuß von dem,
was der Raum bieten will; er zieht das Bewußtsein des
Eintretenden gleich von Anfang in das bevorstehende
Raumerleben herein; er gestaltet in dem Mittel der
Gebrauchsdinge die Gefühle. Wie dankbar sind wir
ihm, wenn ihm das gelingt! Wir empfangen doppelt
in solchem Fall: zur technischen Befriedigung der
Zwecke und Bedürfnisse das tiefe Behagen der Schau,
die Anrede an das innere Empfindungszentrum, des-
sen Billigung allein uns in jeder Situation heimisch
werden läßt. Lichtführung und Werkstoffe, Struktur-
linien und Farben, alles liefert dem Gestalter die
Worte, um diese Anrede zu formen. Aber nur wenn
er dichterisches Vermögen hat, binden sie sich sinn-
voll zum Gedicht und bestimmen die Phantasie. -
Aufnahmen: Hcdda Rcidt
»AUS DEM BEAMTENKASINO DER BUNTWEBEREI« ENTWURF: PROFESSOR OSWIN HEMPEL-DRESDEN