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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 52.1941

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Michel, Wilhelm: Von der "plastischen Kraft"
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https://doi.org/10.11588/diglit.12314#0121

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INN EN-DEKORATION

113

£>ameri3 im mcr

Pomadisierte, das für die französische Lebensregung
unter dem dritten Napoleon in der Tat neckisch be-
zeichnend ist. Um den einen Menschen her wird alles
organisch, leicht, blühend, um den andern breitet sich,
selbst bei gleichem Ausgangsmaterial, verdrießliche
Dürre aus - und wer hätte nicht schon beobachtet,
wie gerade gewisse intimste Wesenszüge, leise Ver-
schobenheiten und Widersprüche mit überraschender
Präzision sich in der Umwelt ihres Trägers weithin
sichtbare Zeichen schaffen? Da sieht man die Klei-
dung einer Frau stets jene kleine Note einer schrillen
Unstimmigkeit hervorkehren, die dem falschen Gel-
tungsbedürfnis in ihrer Seele entspricht; ist's nicht
der Hut, so ist's der Schuh, ist's nicht der Gürtel, so
ist's die Handtasche; und stets laufen die gleichsin-
nigen Zeichen durch ihre Art des Wohnens, des Spre-
chens und Auftretens. Diese unwillkürlich wirkende
plastische Kraft in uns ist es, die namentlich unsrem
Heim stets die letzte, die bestimmende Fassung gibt.

orundriss des damen-wohn-und schlafraums s. 109/h2 Und 50 ist die FraSe einer wahren Wohnkultur im

letzten Punkte unlöslich mit der Frage der seelisch-
geistigen Kultur verknüpft. Die Wirkung des »Ge-
schmacks« — der ohne Zweifel erzogen werden kann
VON DER »PLASTISCHEN KRAFT« - ändert an dieser Sachlage nicht allzuviel. Wie viele

Menschen gibt es, die bei roh gebliebenem Geist und

Das griechische Wort »plassein« bedeutet »gestal- unharmonischem Gemüt sich eine beträchtliche Ge-
ten, formen«, und die plastische Kraft, die wir schmackskultur angeeignet haben! Sie wissen ästhe-
dem Menschen zuschreiben, ist nichts andres als Aus- tische Verstöße in der Heimgestaltung zu meiden -
druckskraft oder Bildekraft. Nur meinen wir mit die- aber unfehlbar werden sie ihr ästhetisches Feingefühl
semWort weniger das bewußte Formtalent des Künst- so vortragen, daß es erkältet durch Überspitzungen
lers, als vielmehr die absichtslos wirkende Macht, mit un(j seelenloses Haften am Äußerlichen. - w.M.
der sich unser Wesen in unsrer dinglichen Umwelt
auszuprägen pflegt. Wir brauchen das nicht mit Wil-
len anzustreben. Im Gegenteil. Je weniger wir darauf
bedacht sind, unsre Umgebung nach unsrem Naturell
zu formen, desto gewisser kommt es, gerade mit sei-
nen verborgensten Heimlichkeiten, in unsrer Woh-
nung, Kleidung, Sprechweise zum Ausdruck. Die
Künstlermähne entsteht nicht aus Nachlässigkeit
oder gar aus praktischen Erwägungen, sondern aus
dem unwillkürlichen Drang, in freiflatternden Endi-
gungen einen seelischen Schwung, eine souveräne
Großzügigkeit des Gemüts auszuleben; und so flattert
nicht nur die Mähne, sondern mit ihr die Halsbinde,
der Mantelfittich und die Weltanschauung. Beim
Haltungsmenschen preßt sich nicht nur der Rock
glatt an den Körper; er hat auch schnittig gebügelte
Urteile im Mund, kurzgeschorenen Rasen im Garten
und eine erstickende Ordnung im Bücherschrank.
Um einen bestimmten Menschen her sieht man in
allem, was er besitzt und tut, stets dasselbe »Orna-
ment« entstehen. Das kann im einen Fall ein heiterer
Schnörkel, im andern ein rechter Winkel, im dritten pi

ein fahriges Krikelkrakel sein: immer wird es ein in................f :'j

Inneres sein, das nach außen drängt. Baudelaire
wandte das einmal humorvoll auf sein Volk und seine
Zeit an. »In Frankreich«, schrieb er, »trägt jeder Ge-
danke einen Schnurrbart« - und er meinte damit jenes kinderzimmer-orundriss
flotte Selbstbewußtsein, jenes Gezwirbelte, Gewichste, (Abbildungen: s. 114/117)

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