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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 52.1941

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Michel, Wilhelm: Vor hundert Jahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.12314#0187

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INNEN-DEKORATION 179

»speisezimmer« möbel: pal1sander, tisch- und bqfettplatten: rosafarbener rohkristall,bezüge: seidenrips

die echte Art des Biedermeiermöbels umrissen. Varn-
hagen schildert eine Wohnung der Zeit mit den
Worten: »Die hellblauen Zimmer waren geräumig
und besonders hoch, ganz einfach ausgestattet ohne
Kostbarkeit und Glanz. Ein paar Bildnisse hingen an
der Wand, zwei Büsten standen zwischen Blumen-
töpfen ; von Gerät schien eben nur das zum Gebrauch
Notwendige vorhanden, aber das Ganze machte den-
noch einen eleganten Eindruck, oder vielmehr die
Anordnung war so gefällig und bequem, daß sie jenes
eigentümliche Behagen hervorbrachte, welches durch
die höchste Eleganz bewirkt werden soll und bei den
größten Mitteln doch so oft verfehlt wird.« Während in
früheren Zeiten ein großer Unterschied zwischen dem
Wohnstil der Höfe und des Volkes bestanden hatte,
wurde diesmal der Charakter des Schlichten, selbst
Kargen auch in den Palästen der Fürsten durchge-
führt. »Behagliche, aber beinahe dürftige Stuben«
waren im Jahre 1826 die Wohngemächer des Königs
Friedrich Wilhelm III. in Berlin. Ein Hauptmerkmal
des Biedermeierstils ist im Bilde des Wohnraums die
streng festgehaltene Symmetrie der Anordnung. Sie

1941. VI. 3

galt ja als »klassisch«, und sie wurde durchgeführt bis
zur straffen Anordnung der Bilder, die man in den
Innenräumen jener Zeit in pyramidenartigem oder
sonstwie geometrischem Schema um ein Sofa, um
einen Schreibtisch sich gruppieren sieht.

Zweifellos bekundet sich im Wohnstil der Bieder-
meierzeit zum letztenmal vor dem allgemeinen Form-
verfall eine echte, traditionsgebundene Formenwelt,
die für Hoch und Niedrig verpflichtend war. Dieser
Stil war nicht autochthon »deutsch«, doch bleibt ihm
das Verdienst, die klassizistischen Formen aus deut-
schem Lebensgefühl bearbeitet und mit sicherem Ge-
schmack ins deutsche bürgerliche Dasein hereinge-
zogen zu haben. Er hat diese Leistung vollbracht in
ständiger Bedrohung von Seiten der romantischen Auf-
lösungskräfte, die in der Monumentalarchitektur schon
längst zu ausschweifendem Spiel mit allerlei histori-
schen Kunstweisen geführt hatten, als die bieder-
meierische Wohnstube noch unerschüttert standhielt.
Schließlich wurde auch sie in den Strudel hinabge-
zogen, aus dem dann nur eine ganz neue, unhisto-
rische Besinnung retten konnte. - Wilhelm michel
 
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