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INNEN-DEKORATI ON
zwischen im völkischen Kulturgefüge den Platz er-
obert haben, der ihrer faktischen Bedeutung ent-
spricht? Es wird einer bestehenden Wirklichkeit end-
lich bewußt zugestimmt: das ist der eigentliche Inhalt
des Begriffes Fortschritt. Als der Perserkönig Xerxes
die Heeresmacht seiner zahllosen Länder gegen Grie-
chendland aufbot, tat er alles, was den Erfolg des
Feldzuges sicherstellen konnte. Aber es ist, als ob er
mit Blindheit geschlagen wäre gegenüber der Tat-
sache, daß es lebendige, empfindende Menschen sind,
aus denen seine Heere bestehen. Er läßt seine Sol-
daten in die Schlacht prügeln, er behandelt sie wie
Herden von Tieren. Er erweckt nicht Mut und Ehr-
geiz in ihren Herzen, er legt es nur darauf an, daß sie
vor ihm und den geißelschwingenden Hauptleuten
größere Angst haben sollen als vor den Waffen der
Feinde. Und er kann von diesem orientalischen Den-
ken aus nicht begreifen, wie es die an Zahl so weit
unterlegenen Griechen überhaupt wagen können,
Widerstand zu leisten. Uns Griechen, sagt zu ihm ein
Spartaner, befiehlt nicht die Peitsche, sondern das
Gesetz und die Vaterlandsliebe. Das klingt dem
Despoten wie ein Märchen im Ohr; aber an diesem
Märchen zerbricht seine ungeheure Macht. Die Grie-
chen haben den Menschen und die lebendigen Kräfte
seiner Seele entdeckt, sie haben beides bejaht und in
Rechnung gestellt: dieser »Fortschritt« ist es, der sie
über das tote Material triumphieren läßt. — Nochmals:
Inhalt der Kulturgeschichte ist das fortschreitende
Bekanntwerden des Menschen mit sich selbst. Er ver-
sucht in Frühzeiten zu leben wie ein Tier. Aber es ge-
lingt nicht. Entgegen seinem natürlichen Hang zur
Trägheit treibt es ihn zu höheren Zurüstungen in
Kleidung, Nahrung und Wohnung. Er versucht auch
in geistig-sittlicher Hinsicht zunächst wie ein Tier zu
leben. Aber er erfährt, daß seine eigne Welt mit dem
sicheren Schlaf unter Brüdern und Nachbarn ständig
durch ihn selbst zerstört wird, indem er seinen wilden
Trieben die Zügel schießen läßt. So lernt er sich zäh-
men. Er lernt nacheinander die Folgerungen aus einem
eignen Wesen ziehen, nach dem dumpfen Individua-
lismus, mit dem er beginnt, schwer und mühselig
wachere Begriffe der Gemeinschaft bilden.
Das gilt nicht nur im Hinblick auf die Neben-
menschen. Es gilt auch von der Dingwelt, in der er
lebt. Auch gegenüber dem Draußen, das als Land-
INNEN-DEKORATI ON
zwischen im völkischen Kulturgefüge den Platz er-
obert haben, der ihrer faktischen Bedeutung ent-
spricht? Es wird einer bestehenden Wirklichkeit end-
lich bewußt zugestimmt: das ist der eigentliche Inhalt
des Begriffes Fortschritt. Als der Perserkönig Xerxes
die Heeresmacht seiner zahllosen Länder gegen Grie-
chendland aufbot, tat er alles, was den Erfolg des
Feldzuges sicherstellen konnte. Aber es ist, als ob er
mit Blindheit geschlagen wäre gegenüber der Tat-
sache, daß es lebendige, empfindende Menschen sind,
aus denen seine Heere bestehen. Er läßt seine Sol-
daten in die Schlacht prügeln, er behandelt sie wie
Herden von Tieren. Er erweckt nicht Mut und Ehr-
geiz in ihren Herzen, er legt es nur darauf an, daß sie
vor ihm und den geißelschwingenden Hauptleuten
größere Angst haben sollen als vor den Waffen der
Feinde. Und er kann von diesem orientalischen Den-
ken aus nicht begreifen, wie es die an Zahl so weit
unterlegenen Griechen überhaupt wagen können,
Widerstand zu leisten. Uns Griechen, sagt zu ihm ein
Spartaner, befiehlt nicht die Peitsche, sondern das
Gesetz und die Vaterlandsliebe. Das klingt dem
Despoten wie ein Märchen im Ohr; aber an diesem
Märchen zerbricht seine ungeheure Macht. Die Grie-
chen haben den Menschen und die lebendigen Kräfte
seiner Seele entdeckt, sie haben beides bejaht und in
Rechnung gestellt: dieser »Fortschritt« ist es, der sie
über das tote Material triumphieren läßt. — Nochmals:
Inhalt der Kulturgeschichte ist das fortschreitende
Bekanntwerden des Menschen mit sich selbst. Er ver-
sucht in Frühzeiten zu leben wie ein Tier. Aber es ge-
lingt nicht. Entgegen seinem natürlichen Hang zur
Trägheit treibt es ihn zu höheren Zurüstungen in
Kleidung, Nahrung und Wohnung. Er versucht auch
in geistig-sittlicher Hinsicht zunächst wie ein Tier zu
leben. Aber er erfährt, daß seine eigne Welt mit dem
sicheren Schlaf unter Brüdern und Nachbarn ständig
durch ihn selbst zerstört wird, indem er seinen wilden
Trieben die Zügel schießen läßt. So lernt er sich zäh-
men. Er lernt nacheinander die Folgerungen aus einem
eignen Wesen ziehen, nach dem dumpfen Individua-
lismus, mit dem er beginnt, schwer und mühselig
wachere Begriffe der Gemeinschaft bilden.
Das gilt nicht nur im Hinblick auf die Neben-
menschen. Es gilt auch von der Dingwelt, in der er
lebt. Auch gegenüber dem Draußen, das als Land-