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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 25.1909-1910

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Segantini, Gottardo: Giovanni Segantini: zu seinem 10. Todestag 28. September 1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.12502#0019

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GIOVANNI SEGANTINI

G. SEGANTINI DIE ZÖGLINGE (BRIANZA 1884)

bleiben, als etwas das direkt vom ewig jungen großen Meisters sichern könnte! Es ist fast
Menschenherzen kommt. Eine solche Dar- eine Heilige Familie; Mutter, Kind und Vater
Stellung der Natur, ganz durchdrungen von sitzen im Kahn inmitten einer Schafherde,
der tiefen Empfindsamkeit eines ethisch voll- die nach dem fernen Dörfchen gerudert wird,
kommenen und bis zur vollkommensten Schön- Die Frau betet, während die Tiere ihre müden
heitsempfindung reifen Menschen, ist eine un- Köpfe hängen lassen, das Ganze getaucht ins
sterbliche stets frische Schöpfung. In der Gold der untergegangenen Sonne. Man meint
Brianza entstanden fast als Blätter aus dem das Läuten des Angelus drüben vom Ufer
Tagebuch einer von Liebe übervollen Seele zu hören und das Lispeln der betenden Mutter.
„Das Idyll", „Die Zöglinge, „Liebe auf den In anderen Bildern, wie „Mondschein" (Abb.
Bergen" (Abb. S. 15, 8 u. S. 10). Alles Bilder, S. 5), „Die letzten Mühen des Tages" (Abb.
aus denen eine Seele zu uns spricht, die die S. 4) und „Schafschur" redet er in gedämpf-
Natur mit den dichterisch träumenden Augen ten Tönen von den Mühseligkeiten des Hirten
eines Verliebten ansieht. Es sind dies nicht und der Zusammengehörigkeit des Tieres des
Bilder im Sinne der Farbe oder der Form, Hauses und des Feldes mit dem Menschen ;
sondern malerische Beschreibungen von seeli- aber diese Sprache sollte bei ihm nach und
sehen Zuständen. Das Mädchen, die Mutter, nach ganz andere Klarheit bekommen in „An
die Liebe, die Mutterschaft, das sind die sich der Barre", seinem letzten noch in Italien ge-
wiederholenden Grundtöne dieser Werke; malten Bild, bevor er nach Savognino zog
denkt man, daß der Maler jung verheiratet (Abb. S. 13). Doch nachdem er vom Zusam-
war, daß er im halb dunklen Atelier malte, menhang des Tieres mit dem Menschen und
dann erst kann man diese zarten farbigen dieses mit dem Boden gesprochen hatte, wäre
Gedichte richtig verstehen. Die Perle dieser seine Auffassung des Bauern unvollständig
„quadri di sentimento", wie er selbst sie gewesen, wenn er nicht „Die Frühmesse" (Abb.
nannte, ist wohl „Ave Maria trasbordo" S. 16) und „Die Segnung der Schafe" gemalt
(Abb. geg. S. 1), dieses Gedicht voll von hätte; denn für den einfachen Menschen gibt
tiefster Empfindung, das allein den Ruf eines es einen Gott, vor dem alle, die Tiere, die

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