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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 25.1909-1910

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Clemen, Paul: Leon Dabo
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https://doi.org/10.11588/diglit.12502#0152

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LEON DABO

Das Zentrum seines Zirkels liegt den Hudson
aufwärts, oberhalb Newyork, dort wo noch
weite Flächen liegen, die noch nicht von Bau-
spekulationen träumen — weit draußen, hinter
der steinernen Schönheit und hinter den
Greueln von Newyork hat der Künstler sein
Heim gefunden, auf dem Lande, in der Ein-
samkeit — ein kurzer Spaziergang trennt sein
Haus von dem mächtigen Strom, und jenseits
des Spiegels, der hier noch so breit ist wie
eine Meereszunge, liegen die schimmernden
Höhen von Newjersey. Mit diesem Strom-
riesen vor Augen hat Dabo das letzte Jahr-
zehnt geschaffen. Hymnen auf die Schönheit
dieses Königs der Flüsse sind vielleicht die
Hälfte seiner Bilder. Nicht die Themse und
nicht die Elbe ziehen eine solche wunderbare
Wolke zitternden Wasserdunstes nach sich,
die manchmal nur träge wie eine weiche
Decke über dem Strom schleppt, dann wieder
wie eine silberige Wand aufsteigt. Vielleicht
hat über keinem anderen Fluß der Erde die
Sonne eine solche Leuchtkraft, kämpft sie
einen solchen nie endenden Kampf mit diesem
Dunst, der sie einhüllen will. Und in diesem
Widerstreit zwischen Sonnenlicht und feuch-

ter Atmosphäre erwachsen hier Bilder und
Harmonien von einer berückenden Schönheit
und einer schier unendlichen Mannigfaltigkeit
der Töne und Stimmungen. Frühe Sonnen-
aufgänge mit ganz zarten hellen gebrochenen
blaßgrünen Tönen und vibrierenden Umrissen,
schwüle Sommermittage mit glühendem Son-
nenball über dem bleiernen, eingeschlafenen
Strom, Sonnenuntergänge, in denen sich die
starken und lauten Töne der kanadischen
Abendstunden mit dem weichen, lauen Lichte
mischen, das die letzten Sonnenstrahlen er-
zeugen, wenn sie über endlose Wasserflächen
heraneilen — und endlich die Nächte, die
wunderbaren amerikanischen Nächte, die
hellen Nächte der Sommermonate, in denen
der heiße Dunst der Erde noch für Stunden
mit dem scheidenden Lichte geschwängert
zu sein scheint, und die tiefen stillen Nächte
des indianischen Sommers, mit den satten
und schweren Farben, in denen die Natur
ganz tot scheint, um sich für die leuchtende
Farbenpracht des Tages wieder zu erholen.

Diese Welt zeigt uns Dabos Oeuvre. Mehr
als hundert Bilder von fast gleicher Größe,
mit ganz verwandter Szenerie hat der Künst-

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