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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1886

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Heft 1/2
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Haushofer, Max: Das Wesen der Mode: Vortrag, gehalten im Bayerischen Kunstgewerbe-Verein zu München
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https://doi.org/10.11588/diglit.6901#0017

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Vortrag gehalten im Bayerischen Aunstgewerbe-Verein zu München von Professor Dr. /Dax Ibausbofer.

ist nicht leicht, eine kurze und erschöpfende
Erklärung von dem zu geben, was wir
Mode nennen. Am Leichtesten kommen
wir dazu, wenn wir uns an diejenigen Er-
scheinungen und Thatsachen halten, aus
welchen die Mode hervorgeht.

Die Mode ist ein Theil eines größeren Ganzen, wel-
ches wir mit dem Ausdrucke „Litten und Gebräuche" be-
zeichnen. Litten und Gebräuche bilden sich überall, wo
Menschen Zusammenleben. Unter Litte verstehen wir die
Art und Meise der Menschen, sich im Zusammenleben,
bei den wichtigsten und gewöhnlichsten Vorkommnissen des
Daseins zu benehmen. Die Litte hat den Zweck, das Zu-
sammenleben der Menschen zu erleichtern, dem persönlichen
Verkehr und den alltäglichen Handlungen gewisse Formen
zu geben, auf welche man sich verlassen kann und die deß-
halb von Allen verlangt und von Allen geboten werden.

Die Litte hat aber sehr nmnnigfache Bestandtheile. Ein-
zelne dieser Bestandtheile hängen so innig mit Naturzuständen
oder mit den wichtigsten Lebensbedürfnissen zusammen, daß
sie Jahrhunderte lang unverändert bleiben und schließlich
sogar gesetzliche Regelung finden. Andere Bestandtheile der
Litte dagegen sind höchst beweglich, sie gestatten einen ge-
wissen Spielraum. Und fast bei jeder einzelnen Litte findet
sich wieder ein fester, unveränderlicher Theil und ein be-
weglicher, veränderlicher. Die leicht beweglichen, steten Ver-
änderungen unterworfenen Theile der Sitte nun sind es,
die wir als Mode bezeichnen. Die Mode ist das beweg-
liche Ende der Sitte.

So ist es Litte, daß Bekannte, die sich begegnen, sich
grüßen. Aber wie man grüßt, ist eine Lache der Mode.
Darum war der Gruß am Anfang des gegenwärtigen Jahr-
hunderts ein ganz anderer, als heutzutage. Daß die Männer
anders gekleidet sind, als die Frauen, ist eine Litte; aber
wie die Aleider der Männer und der Frauen in jedem
Jahrhundert, in jedem Jahrzehnt, ja in jedem Jahre be-
schaffen sind, ist Lache der Mode.

Es ist leicht einzusehen, welche Theile der Litte am
beständigsten bleiben und welche am ehesten geneigt sind,
der Mode sich zu unterwerfen. Je mehr irgend ein Be-
standtheil unserer Litte mit wirklichen nothwendigen Lebens-
bedürfnissen zusanimenhängt, um so mehr wird er kurzen
Aenderungen widerstreben. Je mehr er dagegen blos auf
äußeren Eindruck abzielt, um so leichter wird er zur Mode.
Deßhalb ist der ksut viel mehr der Mode unterworfen, als
der Stiefel; denn man schaut auf der Straße den: Menschen
in's Gesicht und nicht auf die Stiefel, obwohl die letzteren
bei Manchein das hübschere sind.

Einzelne Zweige der Litte sind mit feststehenden An-
schauungen und Grundsätzen der Aulturwelt oder mit prakti-
schen Erfahrungen in so innigem Zusammenhangs, daß sie
gar keine Schwankungen oder wenigstens nur in sehr langen
Zeiträumen solche zulassen. Das führt uns zu der Ver-

bindung, welche zwischen der öffentlichen Meinung und der
Mode besteht.

Die Mode ist verwandt mit der öffentlichen Meinung,
aber mit einem großen Unterschiede. Die öffentliche Meinung,
auch wenn sie launenhaft und reich an Irrthümern ist, bleibt
doch stets ein Gegenstand vernünftiger und ernsthafter Dis-
kussion. Das ist die Mode nicht. Wie die Mode, so ist
auch die öffentliche Meinung eine Thätigkeit der gesammten
Gesellschaft oder wenigstens der tonangebenden Areise in ihr.

Welche Areise der Gesellschaft aber sind es, die ei-
gentlich die Mode machen?

Um das herauszufinden, niüßten wir eigentlich alle
Ulaffenunterschiede der modernen Volksgesellschaft in ihrem
möglichen Verhältniß zur Mode eingehend betrachten. Das
ist aber in Uurzem kaum möglich. Es genügt aber auch,
dieses Gebiet blos zu streifen.

Zunächst liegt die Frage, ob die Produzenten oder die
Konsumenten hauptsächlich die Mode machen. Die Ant-
wort lautet unbedingt: beide machen sie. Daß das Aon-
fumentenpublikum lebhaft mit an der Fabrikation der Mode
betheiligt ist, geht schon daraus hervor, daß es eine ganze
Reihe von Moden gibt, welche nicht auf sachliche Gegen-
stände gerichtet sind, sondern auf Umgangsformen, Ver-
gnügungen und dergleichen, wobei die Güterproduktion wenig
oder gar nicht befragt wird.

Aber auch die Produzenten sind an der Schöpfung der
Moden auf's lebhafteste betheiligt. Die Produzenten erfinden
größtentheils die Moden; die Konsumenten begehren die-
selben ; und wenn sie auch keine Moden begehren würden,
so würden ihnen diese aufgedrängt. Das Konsumenten-
publikum weiß schließlich nicht mehr, was es von den
Moden begehrt hat und was ihm aufgedrängt worden ist;
es gibt sich gar keine Mühe, darüber nachzudenken; es
nimmt sich nicht die Zeit dazu; es ist überhaupt von einem
fabelhaften Leichtsinn.

Wie es nun der Produzent macht, um eine neue Mode
zu erfinden, scheint ein Geheimniß, ist aber in der That
keines. Wir müssen dabei natürlich absehen von solchen
Erfindungen, die neue technische Schwierigkeiten bieten, sowie
von solchen, welche allen künstlerischen Anforderungen ent-
sprechen. Die gewöhnlichen Erfindungen der Mode sind
rein zufälliger Natur. Der Produzent macht die Beobacht-
ung, daß ein bisher gangbarer Artikel nicht mehr zieht.
Glaubt er ihm durch eine neue Form neue Zugkraft ver-
leihen zu können, so sucht er zunächst die bisher dagewesenen
Formen des Artikels in einer neuen Form zu kombiniren.
Ergibt sich da auch kein paffendes Resultat, so greift man
nöthigenfalls in die erste Hälfte des laufenden Jahrhunderts
zurück oder auch in frühere Jahrhunderte, und sucht da
etwas heraus, was gerade in die Fabrikationsmethode, zu
den vorhandenen Modellen und Schablonen einigermaßen
paßt. Da wird Großes willkürlich verkleinert und umge-
kehrt, Lachen, die einem praktischen Bedürfniß dienen sollen,

des Aunstgewerbe-Vereins München.

;886. Heft ; & 2 (Bg. 2).
 
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