Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1886

DOI Heft:
Heft 9/10
DOI Artikel:
Pfeifer, ...: Beantwortung einiger wissenschaftlicher Fragen in Form einer Antikritik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6901#0082

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
/

4-7 % ■+


VeantworW einigek wiffmUüftlWek Mgm in §orm eins Antikritik.

c^gs)

cm Verfasser dieses Artikels ist über das von ihm
herausgegebene Buch „Der goldene Schnitt in
Mathematik, Natur und Aunst", erschienen im
Literarischen Institut von Dr. fjuttler in Augs-
burg, eine, im „Westphälischen Merkur" (Nr. 3^2, Jahr-
gang (885, \2. Dez.) veröffentlichte Rezension (als Verfasser
ist I. Plaßmann unterzeichnet) zugekomnien, gegen welche
eine Abwehr und Berichtigung nicht blos im persönlichen,
sondern auch im allgemeinen wissenschaftlichen Interesse
geboten ist, weil jene Rezension bei Beurtheilung des be-
treffenden Buches wissenschaftlich falsche Behauptungen vor-
bringt. Einige dieser wissenschaftlichen Irrthümer sind von
der Art, daß deren Widerlegung wohl auch für einen großen
Theil der Leser der „Zeitschrift des Bayerischen Aunstge-
werbevereins" von Interesse sein könnte.

Die soeben erwähnte Rezension beginnt mit diesem
Satze: „Wer es unternimmt, in der Natur bestimmte
Zahlenverhältnisse nachzuweisen, begibt sich von vornherein
aus ein bedenkliches und gefährliches Gebiet, wenn er nicht
von sicheren mechanischen Gesichtspunkten geleitet wird."

Abgesehen davon, daß Rezensent in jenen Worten die
Meinung durchblicken läßt, der Verfasser des kritisirten
Buches habe sich zu wenig von mechanischen Gesichts-
punkten leiten lassen, geben die angeführten Worte zu
folgender Frage Veranlassung: Ist es in solchen

Fällen, wo es sich um den Nachweis bestimmter
Zahlenverhältnisse in der Natur handelt, immer
oder doch in der Regel möglich und nothwendig,
von mechanischen Gesichtspunkten sich leiten
zu lassen?

Ich werde nun zeigen, daß die Geschichte der Natur-
wissenschaften auf die obige Frage eine entschieden ver-
neinende Antwort gibt.

Den ersten Beweis entnehme ich aus der Geschichte
der Astronomie, weil hier ein Faktum vorliegt, das zur
vollen Evidenz meine Behauptung bestätigt, und weil ich
dabei zugleich Gelegenheit habe, einen berühmten Lands-
mann, nämlich Aepler, gegen ein ungerechtfertigtes Urtheil
zu vertheidigen. Der Rezensent hat nämlich seinen obigen
Satz durch eine Einweisung auf Aepler zu begründen
gesucht, indem er sagt: „So hat Aepler die tollsten Hypo-
thesen erfunden, bevor er seine Gesetze auffand."

piegegen ist vor Allem zu bemerken, daß es. eine
unbillige Uebertreibung ist, Aepler's anfänglich unrichtige
Hypothesen als „die tollsten" zu bezeichnen. Zwischen einer-
unrichtigen und tollen Hypothese ist noch ein großer Ab-
stand. Ein gewiß konrpetenter Beurtheiler der astrono-

X_

mischen Leistungen Aepler's, Förster, Direktor der Berliner
Sternwarte, spricht in einem Vortrage, den er über Aepler
gehalten (Sammlung wissenschaftl. Vorträge von R. Virchow,
Serie VII, Pest (H6, S. (8 ff.) auch von derjenigen Pypo-
these Aepler's, welche sich nicht bewährte und zu seinen
späteren Entdeckungen nur eine Vorarbeit war, mit großer
Achtung.

Doch das ist hier Nebensache. Die Hauptfrage ist,
ob Aepler, als er dann seine berühmten Gesetze fand,
von mechanischen Gesichtspunkten zu dieser Entdeckung
geführt wurde, oder geführt werden konnte? Der bereits
genannte Astronom Förster antwortet hierauf entschieden
verneinend. Er sagt nämlich: „Bekanntlich verfuhr Aepler
bei dem Nachweis der elliptischen Form der Planetenbahnen
streng geometrisch." Geometrisches Verfahren ist verschieden
vom mechanischen. Ferner sagt Förster: „Wir verdanken
der Harmonik (es ist hiebei die philosophische Idee Aepler's
vom Dasein harmonischer Verhältnisse im Planetensystem
gemeint) noch die letzte große Entdeckung Aepler's, welche,
bevor sie als ein Resultat mechanischer
Forschungen sich ergeben konnte, allein durch
numerische Divinationen harmonisirenden Eha-
rakters und durch keine andere Art der Geistesthätigkeit
zu finden war, nämlich das dritte Gesetz. (Daß die Auadrat-
zahlen der Umlaufszeiten je zweier Planeten sich verhalten,
wie die Aubikzahlen der mittleren Entfernungen derselben
Planeten.)

Mit diesem Urtheile Förster's stimmt dasjenige des
Mathematikers pauck (in seinem Vortrage: Die Stellung
der Mathematik zur Aunst rc. S. 23) vollkommen überein,
denn auch dieser erklärt: „Nie dürfen wir vergessen, daß
Aepler durch keine andere Geistesthätigkeit als durch feine
künstlerisch-divinatorifchen Spekulationen zu der großen Ent-
deckung seines dritten Gesetzes gelangen konnte." Der
Grund ist sehr einfach. Die himmlische Mechanik Newton's
wurde ja erst möglich auf der Grundlage der Entdeckung
Aepler's; die irdische Mechanik aber konnte jenen: hiebei
keine leitenden Gesichtspunkte geben.

Ich habe hiemit bewiesen, daß bei diesem wichtigen
Nachweis bestimmter Zahlenverhältnisse in der Natur es
gar nicht möglich war, durch die Leitung mechanischer
Gesichtspunkte das Richtige zu finden. Es wäre leicht, aus
der Geschichte der Ehemie, der Botanik, der Psychologie
resp. Psychophysik denselben Beweis zu führeu. Ich will
jedoch der Aürze wegen nur noch aus der Akustik einen
Beweis entnehmen, und zwar aus dem Grunde, weil Rezen-
sent über Akustik einen entschieden falschen Satz aufgestellt hat.
 
Annotationen