Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1886

DOI Heft:
Heft 5/6
DOI Artikel:
Haushofer, Max: Ueber das Gold
DOI Artikel:
Fünf Fragen und Antworten über Proportionen und über den goldenen Schnitt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6901#0048

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Mehrzahl aber jener, die sich mit dem Goldmachen
abgaben, glaubten allen Ernstes an die Sache und gewiß
sind maüche als Märtyrer dafür zu Grunde gegangen.

Dieser ganze wissenschaftliche Wahnwitz dauerte —
wenn man seine ersten Anfänge dazu rechnet, von Diokletian
bis in die zweite Hälfte des f8. Jahrhunderts und beherrschte
sonnt nahezu ein Jahrtausend den Verstand der ganzen
zivilisirten Menschheit. Von den: Deutschen Georg
Ernst Stahl, der bis f7s9 Professor der Chemie in
Palle war, ging der erste dauernde und erfolgreiche Anstoß
aus, der endlich zum Umsturz der alchymistischen Narren-
burg führte. Auf Stahls Schultern stiegen die glänzenden
peroen einer Wissenschaft, welche sich, einmal befreit von
dem dumpfen Druck des Aberglaubens, mit einer Schnel-
ligkeit entfaltete, als wollte der Menschengeist in einem
Jahrhundert die Schuld abtragen, die er ein Jahrtausend
lang auf sich geladen.

Und was, müssen wir uns schließlich fragen, was ist
es, das dem Golde in den Augen des Menschen einen so
unvergleichlichen Werth verleiht? Gewiß kann es nicht
allein feine Brauchbarkeit und der Nutzen sein, den es
gewährt. Denn manche Metalle wären, wenn man sie
nach dem Maße ihrer Verwendbarkeit, nach der Bedeutung,
die sie im paushalte des Menschen haben, würdig, vor dem
Golde genannt zu werden, stehen aber trotzdem in geringerem
Werthe. Das gilt z. B. vom Silber, vom Rupfer, vor
allem vom Eisen. Es ist auch nicht die Seltenheit seines
Vorkommens allein, nach welcher sich sein hoher Werth
bemißt. Denn das Platin, welches in seiner Unzerstörbarkeit
durch chemische Einwirkung und Kitze, durch Brauchbarkeit
in der Technik das Gold noch übertrifft, steht trotzdem,

daß es in viel kleineren Mengen als das Gold gefunden
wird, doch in geringerem Preise. Selbst gegenüber den
hochgespannten Anforderungen der modernen Zivilisation
könnte man zugeben, daß das Gold im paushalte des
Menschen leichter entbehrt werden könnte, als z. B. das Eisen.
Und doch erscheint es zweifelhaft, ob das Eisen, wenn es so
selten wäre wie das Gold, einen ebenso hohen Preis hätte.

Es ist gewiß vor allem der Zauber seiner Farbe und
seines Glanzes, der es dem Menschen zu allen Zeiten und
allerwärts so schätzbar gemacht hat. Wenn wir uns und
unsere Geräthe schmücken wollen, so ist es zuerst das Gold,
mit deni wir uns schmücken. Es ist das Licht des Tages-
gestirns, der Sonnenglanz, den wir im Golde lieben, wie
auch das alte alchymistische Zeichen des Goldes zugleich das
der Sonne ist. Reine Farbe gibt es, zu der nicht der warme
Ton des Goldes harmonisch sich gesellte. So wurde es der
Röntg der Metalle feit der Rindheit des Menschengeschlechtes
und es ist gewiß nicht das Gefühl der Dürftigkeit, der
Wunsch nach Reichthum allein, sondern die Sehnsucht nach
dem Besitze des edelsten Schmuckes, die in die Worte
ausbricht:

Nach Gold drängt,

Am Golde hängt
Doch alles.

Darum greifen wir auch, wenn wir das Aechte, das
Edle bezeichnen wollen, nach dem Golde; daruin sagen wir
„Treu wie Gold", „Es ist nicht alles Gold, was glänzt",
„Morgenstunde hat Gold im Munde", „pandwerk hat einen
goldenen Boden"; darum sprechen wir, wenn wir an eine
längst entschwundene glückselige Zeit gedenken, vom
goldenen Zeitalter, von der goldenen Jugendzeit.

Ms §mgN M MtivortN WA MMigM W M i>ü pliutl Mutt.

Erste Frage. Warum ist Proportion, resp. Pro-
portionalität im Allgemeinen wohlgefälliger als der Mangel
derselben?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einer-
seits das Wesen der Proportion, andererseits aber die
Natur des Menschen und deren Bethätigungsweise in's
Auge fassen. Die menschliche Natur resp. Seele ist so
beschaffen, daß ihr Verschiedenheit verbunden mit Einheit
besser gefällt, als die Einheit allein ohne alle Verschieden-
heit, oder die Verschiedenheit allein ohne alle Einheit.
Der Grund hievon ist wohl dieser: Was die menschliche
Seele ausfaßt, will sie auch zusammenfassen. Wenn nun
in dem Aufgefaßten blos Verschiedenheit ist ohne Einheit,
so ist keine Zusammenfassung, oder wenigstens keine durch
das Vbjekt begründete und erleichterte Zusamnrenfaffung
möglich. Ist aber in dem Vbjekte keine oder gar zu
wenig Verschiedenheit, so bietet es der auffassenden und
zusanrmenfassenden Thätigkeit der Seele zu wenig Be-
schäftigung ; ein solches Gbjekt ist — um ein Gleichniß
zu gebrauchen — für die erkennende Seele ungefähr das-
selbe, was eine ganz reizlose Speise für den Gaumen ist.
Die menschliche Seele kann gegenüber einem Objekt, das

gar keine Verschiedenheit zeigt, ihre zusammenfassende Rraft
nicht bethätigen, weil nur das irgendwie Verschiedene zur
Zusammenfassung auffordert.

Sehen wir nun, wie sich zu dieser Natur der mensch-
lichen Seele die Proportion verhält. Die Proportion ver-
einigt in sich Verschiedenheit und Einheit, resp. Gleichheit;
denn sie besteht aus wenigstens drei oder vier verschiedenen
Größen, von denen aber je zwei dasselbe Verhältniß haben.
Es sind also in einer Proportion drei oder vier ver-
schiedene Größen, aber zwei gleiche Verhältnisse mit ein-
ander zu einen: Ganzen verbunden. Folglich entspricht die
Proportion jenem Bestreben der menschlichen Seele, Ver-
schiedenes zur Einheit zusammenzufassen. Nebenbei mag
hier bemerkt sein, daß das Bestreben des menschlichen
Geistes, Verschiedenes zusammenzufassen, und das Wohl-
gefallen an der gelungenen Zusammenfassung besonders
frappant im Witze sich manifestirt. Denn der Witz ist
eine ganz besondere Art der Zusammenfassung von Vor-
stellungen, an deren Verbindung man nicht gewöhnt ist
und die derselben zu widerstreben scheinen. Deßhalb sagt
Saphir treffend: „Die Ehe ist ein Witz; denn die Runst
einer guten Ehe wie die eines guten Witzes besteht darin,
 
Annotationen