Die genannten Eigenschaften des Glases sowie die zu seiner
Bearbeitung gebrauchten Werkzeuge zwangen den Künstler
ZU einem langsamen und allmähligen Verfahren und eben
daher zu großer Genauigkeit und Feinheit in ihren Werken,
und hierauf beruht das oberste Gesetz der Glas- und Stein-
schneiderei. Nirgends sonst ist die Schärfe der Formen, die
Subtilität in der Durchführung so sehr höchstes Prinzip
wie gerade hier. Nur dann loben wir einen geschnittenen
Stein, sei es ein Intaglio oder eine Tamee, wenn die
Feinheit der minutiösen Ausführung soweit getrieben ist, daß
wir von der Schwierigkeit der Technik nichts mehr spüren,
daß es den Anschein hat, als ob dem betreffenden Künstler die
Herstellung ein Leichtes gewesen wäre. Nur dann bekommen
wir die zum Genüsse nöthige Sicherheit und Ruhe des
Gefühles, wenn wir der Tamee nicht mehr anmerken, daß
die Umgebung des Bildwerks Stäubchen für Stäubchen weg-
Senommen werden mußte, bis das vollendete Bild stehen
blieb, und wenn wir einem Intaglio nicht mehr ansehen,
daß er gleichsam atomweise ausgehöhlt wurde. Die antiken
Künstler haben diese ihre Ausgabe vollkommen begriffen
sowohl in Bezug auf die edlen Steine wie hinsichtlich des
Glases. In ihren Ueberfanggläsern haben sie diesem Stil-
prinzipe den edelsten Ausdruck verliehen; die durchbrochenen
Becher dagegen zeigen dasselbe in übermüthigster Kühnheit
auf die Spitze getrieben. Und doch machen gerade die
letzteren den Eindruck, als feien sie mit spielender Leichtig-
keit hergestellt worden, so zwar, daß man sich davor des
Gedankens nicht erwehren kann, es habe für die betreffenden
Künstler die Sprödigkeit und pärte des Glases gar nicht
existirt, sie haben dasselbe behandelt, als ob es biegsam
wäre. In diesen Werken feierte die Glasschneidetechnik
in der That ihren höchsten und idealsten Triumph und
erreichte die Grenze ihres Könnens.
Aus den erhaltenen Gläsern, welche den Glasschneidern
ihre Vollendung verdanken, lernen wir aber noch andere
stilistische Gesetze kennen, welche im Alterthume befolgt
wurden. Gottfried Semper hat dieselben nicht ganz richtig
erfaßt, namentlich nicht in Bezug auf die Gläser mit
Beliefdarstellungen. Es ist allerdings richtig, daß erhabene
Arbeit oder Bildhauerwerk aus durchsichtigem oder wohl
richtiger aus farblosem Glase „eine naturwahre Wirkung
ber vorspringenden und zurücktretenden Theile gar nicht
Zuläßt, vielmehr alle Wirkung zerstört, weil die durch
Verdünnung der Waffe hervorgebrachten Tiefen, die im
Schatten liegen sollten, am hellsten erscheinen müssen und
Umgekehrt."
In Bezug aus Bildhauerwerk, d. h. freistehende plastische
Werke, hat dieses Gesetz seine volle und unumstößliche
Giltigkeit; was aber die Reliefdarstellungen anbelangt, muß
für spezielle Fälle ein Unterschied gemacht werden, und
UN Alterthume hat man diesen Unterschied, wie sich gleich
Zeigen wird, mit ebenso großer Konsequenz wie scharfsinniger
Feinheit gemacht. Es ist wahr, der größte Theil der
erhaltenen, mit Reliefs geschmückten Gläser zeigt erhabene
Arbeit aus Heller opaker Kruste über dunklem,
durchsichtigem Grunde; aber gleichwohl läßt sich
daraus mit Semper nicht schließen, daß erhabene Arbeit
auf farblos durchsichtigem Grunde nur bei
ordinärer Glaswaare vorkomme; denn die höchsten
Wunderwerke der antiken Glaskunst, die durchbrochenen
Becher (vasa diatreta), sind entweder vollständig aus farb-
losem Glase oder sie haben farbloses Glas als Grund des
blauen oder purpurnen Netzes und der grünen Inschrift.
Die Sache muß also von einem anderen Gesichtspunkte
aus betrachtet werden.
Wenn man die herrlichen Ueberfanggläfer der Alten
durchmustert, dann wird man sehen, daß sich darunter auch
Weinbecher befinden, welche von den anderen Gläsern dieser
Art in stilistischer Beziehung abweichen. So bildet Deville
einen hübschen Fußbecher mit farbloser Grundschicht und
blauem Keberfang ab und im Museum zu Rouen befindet
sich ein reizender halbeiförmiger Becher, dessen untere Schicht
ebenfalls aus farblos durchsichtigem Glase besteht, während
die obere durchsichtig blau ist. An beiden Bechern ist aus
der blauen Lage eine Dekoration herausgeschnitten, die
demnach gleichsam in der Luft schwebt. So betrachtet
müßten beide Becher als stilwidrig bezeichnet werden; aber
sie sind es gleichwohl nicht, sie sind vielmehr Werke fein
berechnender Ueberlegung.
Sieht man sich die übrigen Ueberfanggläfer an, so
findet man überall erhabene Arbeit aus opakweißer Kruste
auf durchsichtig blauem oder überhaupt dunklem Grunde.
Die betreffenden Gläser sind Prunkvasen, Medaillons, Fries-
stücke, Wandtafeln; es sind Amphoren, welche ohne Inhalt
die Tafel, das Zimmer, den Vorhof oder Garten der Vor-
nehmen schmückten, höchstens wurden sie, wie z. B. etwa
die Kanne im britischen Museum, mit unscheinbarem, farb-
losem Wasser gefüllt; sonst aber bekamen sie keinen Inhalt,
der auf ihre Farbe einen günstigen Einstuß hätte ausüben
können. Sie mußten durch ihre eigene Schönheit wirken
und das, was sie allenfalls enthielten, vor den Augen der
Menschen verbergen. Daher sieht man bei der schönen
Lampe mit dem Brustbilde des kfarpokrates eine dunkle
Grundschicht und das Gleiche finden wir an jenen Ueber-
fanggläsern, die als Aschenurnen gedient haben. Für sich selbst
wirken mußten sodann auch die pateren; denn weder die
Unterlage, von der sie sich abheben mußten, noch das, was
auf sie gelegt wurde, Früchte oder dgl., konnte ihre Farbe
von innen heraus ändern. Das nämliche gilt von den
Wandbekleidungstafeln, den Friesstücken, Medaillons u. f. w.,
wie jedermann leicht einsieht. Alle diese Gegenstände mußten
schon an und für sich dem Stilgesetze Rechnung tragen,
da sie, ihrer Bestimmung zugeführt, keinerlei Veränderung
in ihrem äußeren Aussehen mehr erfuhren.
Anders dagegen verhält es sich mit den zum Wein-
trinken bestimmten Gefäßen. Wenn diese mit rothem oder
gelblichem Weine gefüllt wurden, dann bekam ihr Aeußeres,
refp. die farblose Grundschichte, eine andere Farbe, eben die
Farbe des Weines. Diese Farbe des Weines ist an sich
so lieblich, daß sie keineswegs durch das Glas verborgen
zu werden braucht, im Gegentheil, selbst das herrlichste
Glas übertrifft den Wein nicht an funkelnder Gluth, an
feuriger Leuchtkraft der Farbe. Der Wein soll daher auch
durch das Trinkglas hindurch zur Geltung kommen und
so dem Zecher „ein Gelüstlein erregen." Deßhalb haben
die zwei vorhin angeführten Becher eine farblose Grund-
schicht, deßhalb sind die vasa diatreta entweder ganz aus
farblosem Glase oder es hebt sich bei ihnen das purpurne
oder himmelblaue Körbchen und die grüne Inschrift von
farblosem Grunde ab; deßhalb konnte an farblose Wein-
/
^cs Aunstgewerbe-vereins München.
1886. Heft 3M (Bg. 2).
Bearbeitung gebrauchten Werkzeuge zwangen den Künstler
ZU einem langsamen und allmähligen Verfahren und eben
daher zu großer Genauigkeit und Feinheit in ihren Werken,
und hierauf beruht das oberste Gesetz der Glas- und Stein-
schneiderei. Nirgends sonst ist die Schärfe der Formen, die
Subtilität in der Durchführung so sehr höchstes Prinzip
wie gerade hier. Nur dann loben wir einen geschnittenen
Stein, sei es ein Intaglio oder eine Tamee, wenn die
Feinheit der minutiösen Ausführung soweit getrieben ist, daß
wir von der Schwierigkeit der Technik nichts mehr spüren,
daß es den Anschein hat, als ob dem betreffenden Künstler die
Herstellung ein Leichtes gewesen wäre. Nur dann bekommen
wir die zum Genüsse nöthige Sicherheit und Ruhe des
Gefühles, wenn wir der Tamee nicht mehr anmerken, daß
die Umgebung des Bildwerks Stäubchen für Stäubchen weg-
Senommen werden mußte, bis das vollendete Bild stehen
blieb, und wenn wir einem Intaglio nicht mehr ansehen,
daß er gleichsam atomweise ausgehöhlt wurde. Die antiken
Künstler haben diese ihre Ausgabe vollkommen begriffen
sowohl in Bezug auf die edlen Steine wie hinsichtlich des
Glases. In ihren Ueberfanggläsern haben sie diesem Stil-
prinzipe den edelsten Ausdruck verliehen; die durchbrochenen
Becher dagegen zeigen dasselbe in übermüthigster Kühnheit
auf die Spitze getrieben. Und doch machen gerade die
letzteren den Eindruck, als feien sie mit spielender Leichtig-
keit hergestellt worden, so zwar, daß man sich davor des
Gedankens nicht erwehren kann, es habe für die betreffenden
Künstler die Sprödigkeit und pärte des Glases gar nicht
existirt, sie haben dasselbe behandelt, als ob es biegsam
wäre. In diesen Werken feierte die Glasschneidetechnik
in der That ihren höchsten und idealsten Triumph und
erreichte die Grenze ihres Könnens.
Aus den erhaltenen Gläsern, welche den Glasschneidern
ihre Vollendung verdanken, lernen wir aber noch andere
stilistische Gesetze kennen, welche im Alterthume befolgt
wurden. Gottfried Semper hat dieselben nicht ganz richtig
erfaßt, namentlich nicht in Bezug auf die Gläser mit
Beliefdarstellungen. Es ist allerdings richtig, daß erhabene
Arbeit oder Bildhauerwerk aus durchsichtigem oder wohl
richtiger aus farblosem Glase „eine naturwahre Wirkung
ber vorspringenden und zurücktretenden Theile gar nicht
Zuläßt, vielmehr alle Wirkung zerstört, weil die durch
Verdünnung der Waffe hervorgebrachten Tiefen, die im
Schatten liegen sollten, am hellsten erscheinen müssen und
Umgekehrt."
In Bezug aus Bildhauerwerk, d. h. freistehende plastische
Werke, hat dieses Gesetz seine volle und unumstößliche
Giltigkeit; was aber die Reliefdarstellungen anbelangt, muß
für spezielle Fälle ein Unterschied gemacht werden, und
UN Alterthume hat man diesen Unterschied, wie sich gleich
Zeigen wird, mit ebenso großer Konsequenz wie scharfsinniger
Feinheit gemacht. Es ist wahr, der größte Theil der
erhaltenen, mit Reliefs geschmückten Gläser zeigt erhabene
Arbeit aus Heller opaker Kruste über dunklem,
durchsichtigem Grunde; aber gleichwohl läßt sich
daraus mit Semper nicht schließen, daß erhabene Arbeit
auf farblos durchsichtigem Grunde nur bei
ordinärer Glaswaare vorkomme; denn die höchsten
Wunderwerke der antiken Glaskunst, die durchbrochenen
Becher (vasa diatreta), sind entweder vollständig aus farb-
losem Glase oder sie haben farbloses Glas als Grund des
blauen oder purpurnen Netzes und der grünen Inschrift.
Die Sache muß also von einem anderen Gesichtspunkte
aus betrachtet werden.
Wenn man die herrlichen Ueberfanggläfer der Alten
durchmustert, dann wird man sehen, daß sich darunter auch
Weinbecher befinden, welche von den anderen Gläsern dieser
Art in stilistischer Beziehung abweichen. So bildet Deville
einen hübschen Fußbecher mit farbloser Grundschicht und
blauem Keberfang ab und im Museum zu Rouen befindet
sich ein reizender halbeiförmiger Becher, dessen untere Schicht
ebenfalls aus farblos durchsichtigem Glase besteht, während
die obere durchsichtig blau ist. An beiden Bechern ist aus
der blauen Lage eine Dekoration herausgeschnitten, die
demnach gleichsam in der Luft schwebt. So betrachtet
müßten beide Becher als stilwidrig bezeichnet werden; aber
sie sind es gleichwohl nicht, sie sind vielmehr Werke fein
berechnender Ueberlegung.
Sieht man sich die übrigen Ueberfanggläfer an, so
findet man überall erhabene Arbeit aus opakweißer Kruste
auf durchsichtig blauem oder überhaupt dunklem Grunde.
Die betreffenden Gläser sind Prunkvasen, Medaillons, Fries-
stücke, Wandtafeln; es sind Amphoren, welche ohne Inhalt
die Tafel, das Zimmer, den Vorhof oder Garten der Vor-
nehmen schmückten, höchstens wurden sie, wie z. B. etwa
die Kanne im britischen Museum, mit unscheinbarem, farb-
losem Wasser gefüllt; sonst aber bekamen sie keinen Inhalt,
der auf ihre Farbe einen günstigen Einstuß hätte ausüben
können. Sie mußten durch ihre eigene Schönheit wirken
und das, was sie allenfalls enthielten, vor den Augen der
Menschen verbergen. Daher sieht man bei der schönen
Lampe mit dem Brustbilde des kfarpokrates eine dunkle
Grundschicht und das Gleiche finden wir an jenen Ueber-
fanggläsern, die als Aschenurnen gedient haben. Für sich selbst
wirken mußten sodann auch die pateren; denn weder die
Unterlage, von der sie sich abheben mußten, noch das, was
auf sie gelegt wurde, Früchte oder dgl., konnte ihre Farbe
von innen heraus ändern. Das nämliche gilt von den
Wandbekleidungstafeln, den Friesstücken, Medaillons u. f. w.,
wie jedermann leicht einsieht. Alle diese Gegenstände mußten
schon an und für sich dem Stilgesetze Rechnung tragen,
da sie, ihrer Bestimmung zugeführt, keinerlei Veränderung
in ihrem äußeren Aussehen mehr erfuhren.
Anders dagegen verhält es sich mit den zum Wein-
trinken bestimmten Gefäßen. Wenn diese mit rothem oder
gelblichem Weine gefüllt wurden, dann bekam ihr Aeußeres,
refp. die farblose Grundschichte, eine andere Farbe, eben die
Farbe des Weines. Diese Farbe des Weines ist an sich
so lieblich, daß sie keineswegs durch das Glas verborgen
zu werden braucht, im Gegentheil, selbst das herrlichste
Glas übertrifft den Wein nicht an funkelnder Gluth, an
feuriger Leuchtkraft der Farbe. Der Wein soll daher auch
durch das Trinkglas hindurch zur Geltung kommen und
so dem Zecher „ein Gelüstlein erregen." Deßhalb haben
die zwei vorhin angeführten Becher eine farblose Grund-
schicht, deßhalb sind die vasa diatreta entweder ganz aus
farblosem Glase oder es hebt sich bei ihnen das purpurne
oder himmelblaue Körbchen und die grüne Inschrift von
farblosem Grunde ab; deßhalb konnte an farblose Wein-
/
^cs Aunstgewerbe-vereins München.
1886. Heft 3M (Bg. 2).