Adel und Volk in der Kunst.
gewinnt ihre Beschaffenheit
aus den Ideen, die sie aus-
drückt. Erhabene und selbst-
lose Motive, die stets die
ganze Menschheit anrufen,
veredeln und vereinheitlichen
den Entwurf, während nied-
rige oder triviale Impulse,
die bloß von Mensch zu
Mensch reden, stets auf eine
Zerfahrenheit hin arbeiten,
indem sie persönliche und
nicht zur Sache gehörende
Dinge einführen. Hebet ein
Aruzifix empor, und ihr
schlaget den Grundton einer
Aomposition an! Werfet eine
Randvoll Münzen in die
Menge, und eure Aompo
sition ist augenblicklich in
nicht zusammenstimmende
Trümmer zerschellt! Die
Griechen berechneten die
Bauart ihrer Tempel in Be-
ziehung zu einem festen
Punkte, der hoch über den
Tempeln lag. Alle Säulen
waren leicht nach einwärts
geneigt, so gering und un-
merklich, daß, hätte man die
Säulen verlängert, je zwei der
gegenüberstehenden Reihen
in einem etwa sechzehn-
hundert Meter oberhalb des
Tempels gelegenen Scheitel-
punkte zusammengetroffen
wären. Die Wirkung der
Anordnung eines Bauwerkes
soll ja darin bestehen, ihm
einen Geist der bewußten
Einheitlichkeit zu verleihen.
Das Geheimnis des grie-
chischen Tenipels liegt in
deni unsichtbaren Punkte
zwischen Himmel und Erde,
der gleich dem erhobenen
Aruzifixe alle Mitglieder des
Tempels zu einem Weg der
Erkenntnis führt. Das ist
der Wert und die große Wir-
kung einer angemessenen und
erschöpfenden Inspiration.
Aber die englische Malerei
36- Pokal; von Friodr. Poehlinann,
Nürnberg. Silber, vergoldet, mit gebräunten
Elfenbeinreliefs. (V? d. wirkl. c8röße.)
des f8. Jahrhunderts hatte
nicht die hohe, geistige
Ernsthaftigkeit der Run st der
Renaissance, und es fehlte
ihr auch der edle Sinn in
der Aomposition, den diese
Ernsthaftigkeit erzeugte.
Aber die Malerei ist
doch nur ein Zweig der
Aunst. Stand es mit den
anderen Aünsten im 18. Jahr-
hundert lücht vielleicht besser?
Nein, denn die Möbel, das
Porzellan, das Silber, die
Verzierungen der Decken und
Gesimse, die Töpferei, die
Bildhauerei und die Bau-
kunst des f8. Jahrhunderts
haben wie die Malerei die
gleiche engherzige Beschaffen-
heit. Die gesamte Aunst des
f8. Jahrhunderts ist von
einer außerordentlichen und
seltenen Verfeinerung und
Wohlanständigkeit durch-
drungen, nichts an ihr ist
überquellend, überschwäng-
lich oder nachdrücklich be-
tont. Sie ist strenge im
Zaume gehalten, in einem
hohen Grade gepflegt und
übertrieben gut erzogen.
Nicht ein Funken der über-
schäumenden Lebenskraft und
der erquickenden Wärme der
volkstümlichen Aunst ist in
ihr, sie neigt vielmehr zu
einer gewissen Aälte und An-
maßung im Ausdrucke, sie
glaubt überdies, zu fein, zu
zart zu fein, um von den
gewöhnlichen Leuten ver-
standen zu werden. Sie ist
mit einem Worte aristokra-
tisch in jeder Beziehung.
Dies wird uns noch
klarer, wenn wir sie mit der
gotischen Aunst flüchtig ver-
gleichen. Auch die Gotik
hat bekanntlich einen ausge-
prägten Stil, doch ihre In-
spiration ist nicht aristokra-
tisch, sondern demokratisch.
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gewinnt ihre Beschaffenheit
aus den Ideen, die sie aus-
drückt. Erhabene und selbst-
lose Motive, die stets die
ganze Menschheit anrufen,
veredeln und vereinheitlichen
den Entwurf, während nied-
rige oder triviale Impulse,
die bloß von Mensch zu
Mensch reden, stets auf eine
Zerfahrenheit hin arbeiten,
indem sie persönliche und
nicht zur Sache gehörende
Dinge einführen. Hebet ein
Aruzifix empor, und ihr
schlaget den Grundton einer
Aomposition an! Werfet eine
Randvoll Münzen in die
Menge, und eure Aompo
sition ist augenblicklich in
nicht zusammenstimmende
Trümmer zerschellt! Die
Griechen berechneten die
Bauart ihrer Tempel in Be-
ziehung zu einem festen
Punkte, der hoch über den
Tempeln lag. Alle Säulen
waren leicht nach einwärts
geneigt, so gering und un-
merklich, daß, hätte man die
Säulen verlängert, je zwei der
gegenüberstehenden Reihen
in einem etwa sechzehn-
hundert Meter oberhalb des
Tempels gelegenen Scheitel-
punkte zusammengetroffen
wären. Die Wirkung der
Anordnung eines Bauwerkes
soll ja darin bestehen, ihm
einen Geist der bewußten
Einheitlichkeit zu verleihen.
Das Geheimnis des grie-
chischen Tenipels liegt in
deni unsichtbaren Punkte
zwischen Himmel und Erde,
der gleich dem erhobenen
Aruzifixe alle Mitglieder des
Tempels zu einem Weg der
Erkenntnis führt. Das ist
der Wert und die große Wir-
kung einer angemessenen und
erschöpfenden Inspiration.
Aber die englische Malerei
36- Pokal; von Friodr. Poehlinann,
Nürnberg. Silber, vergoldet, mit gebräunten
Elfenbeinreliefs. (V? d. wirkl. c8röße.)
des f8. Jahrhunderts hatte
nicht die hohe, geistige
Ernsthaftigkeit der Run st der
Renaissance, und es fehlte
ihr auch der edle Sinn in
der Aomposition, den diese
Ernsthaftigkeit erzeugte.
Aber die Malerei ist
doch nur ein Zweig der
Aunst. Stand es mit den
anderen Aünsten im 18. Jahr-
hundert lücht vielleicht besser?
Nein, denn die Möbel, das
Porzellan, das Silber, die
Verzierungen der Decken und
Gesimse, die Töpferei, die
Bildhauerei und die Bau-
kunst des f8. Jahrhunderts
haben wie die Malerei die
gleiche engherzige Beschaffen-
heit. Die gesamte Aunst des
f8. Jahrhunderts ist von
einer außerordentlichen und
seltenen Verfeinerung und
Wohlanständigkeit durch-
drungen, nichts an ihr ist
überquellend, überschwäng-
lich oder nachdrücklich be-
tont. Sie ist strenge im
Zaume gehalten, in einem
hohen Grade gepflegt und
übertrieben gut erzogen.
Nicht ein Funken der über-
schäumenden Lebenskraft und
der erquickenden Wärme der
volkstümlichen Aunst ist in
ihr, sie neigt vielmehr zu
einer gewissen Aälte und An-
maßung im Ausdrucke, sie
glaubt überdies, zu fein, zu
zart zu fein, um von den
gewöhnlichen Leuten ver-
standen zu werden. Sie ist
mit einem Worte aristokra-
tisch in jeder Beziehung.
Dies wird uns noch
klarer, wenn wir sie mit der
gotischen Aunst flüchtig ver-
gleichen. Auch die Gotik
hat bekanntlich einen ausge-
prägten Stil, doch ihre In-
spiration ist nicht aristokra-
tisch, sondern demokratisch.
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