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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 63.1912-1913

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Spengler, O.: "Zeit" und "Ich" im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7141#0250

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Moderne Medaillenkunst. —. „Zeit" und „Ich" nn Kunstgewerbe.

W u. 442. Selbstporträt (mit Rückseite), Gips; von !f. Lin dl.

kunft abmessen kann. Schon
beginnen auch einzelne deutsche
Landschaften wieder feinere
Unterschiede der Form zu be-
stimmen, und wie in der
gotischen Zeit die Formen-
sprache in den Hansastädten
und den rheinischen Bischofs-
sitzen, wie im deutschen Barock
Altpreußen und Altwien sich
schieden, so findet man heute
wieder Fassadeit, seltener
Ulöbel und Aleingerat, aus
denen tiefer als in der foge-
nanten Heimatkunst der Geist
einer Stabt, einer Landschaft
spricht. Das ist gesund und
richtig; denn in guten Zeiten
der Handwerkskunst hat immer
der Wille der Zeit und nicht
der des einzelnen oder einer
Schule den Ausdruck beherrscht.

Diese neue Formensprache
wird mit steigender Sicherheit
als eine Weiterbildung des
Barock empfunden. Auch das
ist notwendig. Denn kein
Volk und keine Gpoche hat
die Freiheit, ihren Stil zu er-
finden oder zu wählen. Zeder
echte, nicht erkünstelte, erlo-
gene, seichte Stil wächst aus der
innersten Form des gesamten
Daseins heraus. Gr kann nicht

Die Bachanti», Gips; von kf. LiIIdl.

^4. Medaille Julius Bernstein, einseitiger
Bronzeguß; von Paula Riez ler.

vom Aunstverstande konstru-
iert und ebensowenig festge-
halten werden, wenn seine Zeit
um ist. Nicht weil man
wollte, sondern weil die form-
gebende Lebenskraft im deut-
schen Volke noch groß genug
und weil die Tradition der
Vergangenheit nur äußerlich
unterbrochen war, entstanden
wieder die Ansätze eines wirk-
lichen Stils. Zn Wahrheit
hat unsere Kultur wie jede
andere nur einen einzigen
Stil besessen. Das bürgerliche
Aunstgewerbe hat vom fO. bis
zunr (8. Zahrhundert feine
Grundformen, den Spiegel
seines seelischen Daseins, nie
völlig gewechselt. Die Re-
naissance atmete am Anfang
den Geist der Gotik, nachher
den des Barock. Zn ihrer
strengen römischen Gestalt ist
sie nie nach Deutschland ge-
kommen. £jter gehört alles
Frühere irgendwie der Welt
der Gotik, alles Spätere irgend-
wie dem Barock an. Das
sind die großen Formen unserer
Früh- und Spätzeit. Eine tief-
innerliche Genieinschaft um-
faßt die Znnenwirkung cher
Dome von Hildesheim, Speier

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