Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 63.1912-1913

DOI article:
Lory, Karl: München und die Provinz: Arbeiten der Firma E. O. Heydecker, Kempten i. U.
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7141#0390

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
München und die Provinz.

707. Dreiteilige Frisiertoilette mit Hocker;
von Leonh. Heydecker jr,, Kempten; Mahagoni mit
Palisanderintarsien, Beschläge in Altgold.

(Ungefähr V20 d. wirkl. Größe.)

einen Band einer kunstgewerblichen Zeitschrift auf-
schlug mit der Präger Sie denken sich das wohl so
ungefähr?" Woran es aber dem Provinzgewerbe
nach meinen Erfahrungen in der Tat fehlt, und
zwar auch den besten und tüchtigsten Vertretern des-
selben, das ist die bewußte Anwendung der neuen
formen, die bewußte Auswahl unter denselben.
Viele von den Betreffenden haben ja z. B die Münch-
ner Kunstgewerbeschule besucht; was sie hier erlernten,
das bewahrt sie vor der Klippe, an der die fabrik-
niäßige Möbelherstellung en §ros zumeist strandet,
nämlich vor der geistlosen Komposition beliebig über-
nommener formen. Allein die Vielheit des Neuen
wirkt eben doch verwirrend; der Konkurrenzkampf
läßt nach Besonderem suchen: und plötzlich ist etwas
da, was man gerne weit, weit weg wünschen möchte,
sozusagen ein Tropfen fremden Blutes, eine Bresche
ist gelegt, sie wird vielleicht breiter und breiter. Daß
hier unserprovinzgewerbe noch nicht sicher
genug erzogen ist, bewies mir namentlich seine
Beteiligung an der Gewerbeschau. Gerade ausge-

zeichnete Firmen enttäuschten hier; sie hatten die treff-
lichsten Ausstellungsobjekte daheim und schickten doch
etwas anderes. So erregte es z. B. vielfach Ver-
wunderung, daß eine der tüchtigsten Provinzfirmen,
die auch in diesen Blättern schon gewürdigt wurde,
zur Gewerbeschau ein Stück sandte, das einen ganz
unnötigen Rückfall in ein überstandenes Neuwienertum
bedeutete. Auch da muß man sagen: wären die
Beziehungen zwischen München und der Provinz in
kunstgewerblichen Dingen so ideal, wie man es wün-
schen möchte, so könnte so etwas nicht Vorkommen.
Die künstlerische Freiheit hat ja gewiß ihre Vor-
züge; aber wo sie zwecklos erscheint, wo sie über-
dies nähere Interessen verletzt, erweckt sie doch pein-
liche Gefühle. Das Provinzgewerbekann eben
auch zum Vermittler des Fremden werden; er-
lahmen die unmittelbaren Beziehungen zu dem ge-
gebenen natürlichen Mittelpunkte, so wird es ohne wei-
teres dahin kommen. Cm bono? Mir sehen niemand,
der einen Vorteil davon hätte, abgesehen etwa die
auswärtige Konkurrenz. Abwechslung ist gewiß etwas
Schönes. Aber „Kultur" trotz allem auch; vielleicht
ist sie sogar noch etwas mehr wert als Abwechslung.
Es gibt aber in der Gegenwart, bei der heillosen
Zersplitterung unseres Bildungswesens, unserer Welt-
anschauung, unserer politischen Interessen kauin ein
anderes Mittel Kultur zu verbreiten als einheitliche,
anständige Lebensformen inöglichst allgemein durch-
zuführen. Wenn der perr Bierbrauer X. einen Salon
im Neu-Wiener Stil hat und der Herr bürgerliche
Magistratsrat und Bäckermeister p. ein Wohnzimmer
a la Weimar, so fehlt es noch weit zu einem kulturell
erfreulichen Bilde. Ich dächte mir es umgekehrt
keineswegs trostlos, wenn z. B. der gesunde Münchner
Kunstgewerbestil sich allenthalben die Provinz eroberte;
es würden dann meines Erachtens sogar viele Un-
erfreulichkeiten allmählich aus dem Stadt- und Land-
schaftsbilde überhaupt schwinden. Und dabei darf
man eines vor allem nicht vergessen: daß das baye-
rische Provinzgewerbe instinktiv und unbewußt doch
im großen und ganzen hauptsächlich zum „Münchner-
Stil" hinneigt. Es gibt auch in solchen Dingen eine
Blutsverwandtschaft.

Ein erfreuliches Beispiel, wie sich der Bund
zwischen Münchner Kunstgewerbe und Provinzge-
werbe gestalten kann, haben wir an dieser Stelle
im vergangenen Jahre unfern Lesern vorgeführt, als
wir den Dr. Huberschen Wohnhausneubau in Kemp-
ten betrachteten. Ein tüchtiges Provinzgeschäft hat
dort ausgeführt, was ein anerkannter Meister des
Münchner Kunstgewerbes entworfen hatte. Es wäre
das Zusammenwirken vielleicht noch in anderer Weise
denkbar; viele Wege führen auch hier nach Rom.

278
 
Annotationen