Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 76.1926

DOI Artikel:
Rose, Hans: Jugendstil und Expressionismus
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7093#0154

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
C A R E S A T T LEU • MÜNCHEN • HAUS AM STARNBERGER SEE

dieser exzentrischen Richtungen, die aus einer Uber-
schärfung des ehemaligen Individualismus hervorge-
gangen waren, der Ausnahmestellung alles persönlich
Wertvollen eingedenk geblieben wären. Daß sie mit be-
sonders empfindlichen Organen für das Einmalige, das
Originale ausgestattet gewesen sein müßten. Es war
nicht der Fall, und auch hier war es der Fluch des Litera-
rischen, der die Künstler anders beriet. Es gab keinen,
der nicht als Typus, nicht als Repräsentant von irgend-
welchen Gesamtheiten verstanden sein wollte. Die
kleinste Stimme glaubte für Völker, für Erdteile zu
sprechen. Intime Begabungen fand man „belanglos".
Das Wort „Menschheit" fiel öfter als nötig. Was man
weiter den literarischen Zirkeln ablernte, war die Zu-
sammenrottung, das Teilen von Gesinnungen, von
Gruppen- und Parteiprogrammen, die in mehr oder
weniger geschickte Schlagworte eingefangen wurden.
Es war das betonte, bohemehaft-überhitzte Anerken-
nen, schließlich der Kuhhandel um Künstlerruhm, den
man sich gegenseitig zuschob. Nirgends gab es so viel
Plagiat, wie in den radikalen Kunstvereinigungen, nir-
gends so viel Formelhaftigkeit, beides untrügliche
Kennzeichen des Modischen. Der Individualismus,
von dem man ausgegangen war, hatte sich in sein
Gegenteil, in Massenkonvention verwandelt.

Als in den besiegten Reichen die Revolution aus-
brach, brauchte man eine Revolutionskunst nicht zu
schaffen. Sie war schon da, und weil die Radikalen
ihren Wirkungskreis von jeher überschätzt hatten,
glaubten sie sich als künstlerische Volksbeglücker auf-
spielen zu können. In den Tageszeitungen, die den
Sturz der Fürstenthrone anzeigten, erschienen ex-
pressionistische Klischees. Man wollte sie dem Volk
„gönnen". Was zurückkam, war eine Ohrfeige sonder-
gleichen. Das Volk, zumal das oberbayerische, war
nicht gewillt, sich mit Fratzen abspeisen zu lassen. Es
blieb bei seiner Volkskunst, zum Teil auch bei seinem
behaglichen Kitsch und — was man ihm nicht genug
danken kann — es verhielt sich ehrfurchtsvoll vor den
Beständen an alter Kunst, die in erweitertem Maße der
Öffentlichkeit erschlossen wurden. Damals hätten die
Radikalen erkennen müssen, daß sie keine Kulturschicht
mehr unter den Füßen und keinen Stand mehr im
Rücken hatten, und vielleicht wäre ihre Rolle schon
damals ausgespielt gewesen, wenn nicht die Inflation
noch mancherlei Geld in die Kassen gefegt hätte. Der
Handel mit alten und neuen Bildern war gleich bequem.
Wahllos griff man nach allem. Mancher kaufte Gutes
aus Versehen, andere ebenso ahnungslos das völlig
Wertlose. Viele von den ehemals Kunstliebenden ver-

136
 
Annotationen