LECHNER UND NORKAUER • MÜNCHEN
HAUS IN UFFING
gruben sich in Theorie und Historie. Die Kunstbücher
zählten nach Tausenden im Jahr.
Es klingt romanhaft, daß bei Krisen dieser Art noch
immer die Hoffnung auf Gesundung wach blieb. Wer
von bildender Kunst allein hätte leben müssen, wäre
verzweifelt. Aber das Ganze der Kunst hielt nach wie
vor sein natürliches Gleichgewicht. Die Baukunst war
schon seit 1901 unter andere Lebensbedingungen ge-
stellt worden als die bildenden Künste. Die damaligen
Reformvorgänge hatten sie schwer erschüttert. Seit-
dem aber war eine Gesundung eingetreten und die
Folge davon war, daß die Krise von 1912 das baukünst-
lerische Schaffen überhaupt nicht berührte. Es bewegte
sich weiter in der energievoll-selbständigen Richtung,
die es seit 1901 eingeschlagen hatte, und mehr als das:
die Baukunst war qualitativ und quantitativ in steilem
Aufstieg begriffen. Was für die bildende Kunst den
Beginn der Zersetzung bedeutete, wirkte in der Bau-
kunst als Kraftzuwachs, als eine seltene Gunst der Situa-
tion, und nachdem der Bildverfall zur Tatsache ge-
worden war, besaß die Baukunst mitsamt ihren Tra-
banten, Kunstgewerbe und Dekoration bereits Lebens-
kraft genug, um den Ausfall auszugleichen.
Wir haben die Fundamente zu prüfen, auf denen
ein solcher Koloß von künstlerischer Verantwortung
hat ruhen können. Im Jahre 1901, in der Jugendstil-
bewegung, waren zugleich mit der Entthronung der
historischen Stile Sachlichkeit, Ehrlichkeit und Zweck-
mäßigkeit vom Bauwerk verlangt worden. Zum min-
desten waren das die Gesichtspunkte, die sich als frucht-
bar erweisen sollten, und nachdem das Bauornament
gerade im Jugendstil noch einige der unbegreiflichsten
Entgleisungen verschuldet hatte, wurde das Bauen
groß, schlicht, gewaltig ernst. Nutzbauten und Indu-
striebauten übernahmen die Führung und wurden von
den Schnörkeln eines Scheinluxus ebenso befreit wie
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HAUS IN UFFING
gruben sich in Theorie und Historie. Die Kunstbücher
zählten nach Tausenden im Jahr.
Es klingt romanhaft, daß bei Krisen dieser Art noch
immer die Hoffnung auf Gesundung wach blieb. Wer
von bildender Kunst allein hätte leben müssen, wäre
verzweifelt. Aber das Ganze der Kunst hielt nach wie
vor sein natürliches Gleichgewicht. Die Baukunst war
schon seit 1901 unter andere Lebensbedingungen ge-
stellt worden als die bildenden Künste. Die damaligen
Reformvorgänge hatten sie schwer erschüttert. Seit-
dem aber war eine Gesundung eingetreten und die
Folge davon war, daß die Krise von 1912 das baukünst-
lerische Schaffen überhaupt nicht berührte. Es bewegte
sich weiter in der energievoll-selbständigen Richtung,
die es seit 1901 eingeschlagen hatte, und mehr als das:
die Baukunst war qualitativ und quantitativ in steilem
Aufstieg begriffen. Was für die bildende Kunst den
Beginn der Zersetzung bedeutete, wirkte in der Bau-
kunst als Kraftzuwachs, als eine seltene Gunst der Situa-
tion, und nachdem der Bildverfall zur Tatsache ge-
worden war, besaß die Baukunst mitsamt ihren Tra-
banten, Kunstgewerbe und Dekoration bereits Lebens-
kraft genug, um den Ausfall auszugleichen.
Wir haben die Fundamente zu prüfen, auf denen
ein solcher Koloß von künstlerischer Verantwortung
hat ruhen können. Im Jahre 1901, in der Jugendstil-
bewegung, waren zugleich mit der Entthronung der
historischen Stile Sachlichkeit, Ehrlichkeit und Zweck-
mäßigkeit vom Bauwerk verlangt worden. Zum min-
desten waren das die Gesichtspunkte, die sich als frucht-
bar erweisen sollten, und nachdem das Bauornament
gerade im Jugendstil noch einige der unbegreiflichsten
Entgleisungen verschuldet hatte, wurde das Bauen
groß, schlicht, gewaltig ernst. Nutzbauten und Indu-
striebauten übernahmen die Führung und wurden von
den Schnörkeln eines Scheinluxus ebenso befreit wie
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