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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 8.1897

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Steinmann, Ernst: Moderne Kunst in Florenz, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5776#0097

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Moderne Kunst in Florenz

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Fresken aus der Schule Giotto's an den Pfeilern und
Gewölben in Orsanmichele haben wie die meisten ähn-
lichen Erzeugnisse der Trecento keinen hohen künstle-
rischen Wert, verleihen aber dem ehrwürdigen Heilig-
tum einen ganz besonderen Zauber; die vor nicht weniger
als dreizehn Jahren begonnene Restauration der Benedik-
tiner Kirche von S. Trinita, welche zur Entdeckung der
halberloschenen Chorfresken des Baldovinetti führte,
wird in absehbarer Zeit vollendet sein, und vor kurzem
wurde in einer der Chorkapellen Luca della Bobbia's
Grabmal Federighi aufgestellt, eins der edelsten Denk-
mäler der Renaissanceskulptur, das man bis daliin in
dem abgelegenen Kloster von S. Francesco di Paola
suchen nmsste; und endlich werden seit Monaten in den
"Offizien die Räume für die vielbesprochene Galerie
von S. Maria Nuova hergerichtet, deren seit Jahren vom
Staat beabsichtigte Erwerbung der Unterrichtsminister
endlich in einer seiner letzten öffentlichen Reden mit
Bestimmtheit zugesagt hat.

Was man für die Erhaltung der großen Kunst-
erzeugnisse vergangener Jahrhunderte thut, wird auch
für die Pflege moderner Kunstbedürfnisse und Interessen
nicht unterlassen. Eben hat man — es dürfte aller-
dings scheinen, recht verspätet — dem Donatello in
San Lorenzo ein Grabdenkmal gesetzt, aus demselben
silbergrauen Sandstein wie des Meisters Verkündigung
in Santa Croce, in ähnlicher Weise komponirt wie
Desiderio's herrliches Denkmal des Marzuppini ebendort.
In die Domfassade ist man seit kurzem beschäftigt, die
neuen Bronzethüren einzufügen, und im Mittelpunkt der
Stadt, wo einst ihre ärmsten Bewohner in engen Gassen
hausten, erhebt sich an der Ecke von Via Vecchietti
und Via Teatina seit wenigen Wochen der neue ge-
räumige Ausstellungspalast. Überkritische Alt-Floren-
tiner allerdings, denen alles Ungewohnte unbequem ist,
erzählen sich am Stammtisch, der neue Bau entbehre
jeder architektonischen Würde, nehme sich zwischen
den halbzerstörten Häusern des alten Stadtteils nur
kläglich aus und verdiene nicht einmal den Namen
„Palazzo", mit welchem der Italiener sonst so freigiebig
ist. Gerechtere Beurteiler werden aber auch die Vor-
züge der Anlage gelten lassen: die centrale Lage, die
klare Disposition im Innern, die geschmackvolle Deko-
ration der Außen- und Innenwände, die große Kunst,
mit welcher schon Vorhandenes dem Neubau angepasst
wurde, den ein eben angelegter Blumengarten, wenn
günstigere Witterung eintritt, auch nach außen hin gar
festlich kleiden wird.

Die am 19. Dezember v. J. eröffnete Kunstaus-
stellung wird bis Anfang April geöffnet sein, und dann
werden sich die Räume mit den schönsten Blumen und
Gewächsen schmücken, die „Primavera" mit jedem
jungen Jahr über die Stadt am Arno ausstreut. Die
Blumenausstellung soll sich bis in den Sommer erstreken,
ein reiches Programm von Künstlerfesten, Konzerten, Vor-

trägen u. s. w. wird Einheimische und Fremde anziehen)
denen Retourbillete mit ermäßigten Preisen bis zu
zwanzigtägiger Gültigkeit den Besuch der Ausstellung
erleichtern. So hat ein wohlzusammengesetztes Komitee,
an dessen Spitze der Marchese Carlo Ridolfi steht, den
der Graf Alexandri, der Baron Ricasoli, der Commen-
datore Philipson, der Professor Cecconi und viele andere
mit Rat und That unterstützen, alles gethan, dem
Unternehmen den Erfolg zu sichern, dem allen voran
das ganze königliche Haus, welches der Eröffnung bei-
wohnte, seine Teilnahme und Sympathie kundgeben
wollte.

Wie begreiflich wiegt das einheimische Element
in den Ausstellungssälen bedeutend vor; die ganze Ab-
teilung zu ebener Erde, etwa 15 Säle, und ein Teil des
ersten Stockwerks ist der modernen Kunst Italiens ein-
geräumt, die Ausländer, Deutsche, Engländer, Franzosen,
Spanier, konnten in zwei allerdings besonders geräumigen
Sälen untergebracht werden. Wurden die Produkte
italienischer Künstler dem strengen Urteil einer Jury
unterworfen, welche nicht weniger als 500 Gemälde ab-
gewiesen hat, so folgten die ersten Künstler des Aus-
landes einer an sie ergangenen Einladung, ein glücklich
erfundener Modus, welcher dem Komitee freie Wahl ge-
stattete, zugleich allerdings zur Annahme des einmal
Erbetenen zwang.

Verdient es Nacheiferung und hohe Anerkennung,
dass sich unter dem Ehrenpräsidium des Sindaco Marchese
Torrigiani, die Aristokratie des Geistes und der Geburt
mit allen Kräften für das Gelingen der Ausstellung
einsetzte, deren Verwaltung somit keineswegs ausschließ-
lich in den Händen ausübender Künstler ruht, so ent-
schuldigt es die Neuheit des Unternehmens, das nicht ein-
mal von langer Hand vorbereitet war, wenn die Verteilung
und Aufhängung der Bilder nicht in allem den An-
forderungen unserer Tage entspricht. Leider wird auch
durch den Katalog, der immerhin für einen überaus ge-
ringen Preis noch Reichliches bietet, dem Besucher die
Orientirung nicht so erleichtert, wie zu wünschen wäre,
und wenn jedem Bilde gleich der Preis beigefügt ist, für
den es zu haben, so ist es jedenfalls geschmackvoller,
wenn alles Geschäftliche, wie das z. B. in Berlin und
München geschieht, im Verkaufsbureau behandelt wird.
Ein Katalog, welcher den Besucher einer Ausstellung
leiten und beraten soll, darf nicht zum Preiskourant
herabsinken.

Die starke Lokalfärbung, welche sich bis auf diesen
Tag in den Städten und Provinzen Italiens erhalten
hat und sich in jedem Individuum noch aufs deutlichste
ausprägt, ist in der Kunst, die einst so deutlich den
Charakter jeden Kleinstaates wiederspiegelte, fast ganz
geschwunden. Von einer Mailänder, Florentiner, Vene-
zianischen Schule kann heute nicht mehr die Rede sein,
und so mag man sich begnügen, von einem Saal zum
andern wandernd, in einem Gesamtbilde klar zu er-
 
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