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Sammlungen und Ausstellungen.
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und einen hohen Grad von Langweiligkeit erreicht. Um-
kehren — so lange es noch Zeit ist! — Heinrich Le.flcr's
Originale zu den von der Gesellschaft für vervielfältigende
Kunst herausgegebenen Illustrationen zu Andersen's Märchen
(„Prinzessin und Schweinehirt") ragen zeichnerisch hervor.
Dass das Kolorit ein klein wenig süßlich ist, mag nicht un-
erwähnt sein, doch kann das auch mit Bewusstsein hier ge-
schehen und als ein dem Inhalt des Thema's entsprechendes
Moment aufgefasst werden. Lefter ist mit der Fähigkeit
begabt, in den feinen Sinn solcher Märchen einzudringen und
das herauszuholen, was den merkwürdigen Zauber Andersen's
bildet: die unvergleichliche Mischung von Kindergemüt und
Spottlust, von naiver Beobachtung und Weltkenntnis. „Süperbe,
charmant" sagten „die Hofdamen, denn sie plauderten alle
französisch, eine immer ärger als die anderen". Was in
diesen Stellen oder in solchen wie: „Guten Tag, Kaiser!"
(sagte der als Schweinehirt verkleidete Prinz) liegt,, das ist
mit ungewöhnlicher Treffsicherheit aus der Sprache in die
Linienkunst übertragen. — Die frischesten Stücke in Gouache
und Aquarell von Land und Stadt, Haus, Hof und Hinter-
thür, Markt und Straße und wie die „Motive" alle heißen,
steuerten iAidivig Hans Fischer, Carl Pippick, Hans Witt
(Syrakus), Jettel, Charlemont, Geller, Amcscdcr, Zctschc, Ehr-
manns und andere bei. — Aus Privatbesitz geliehen, ist
ein Prärafaelit in die bunte Schar „moderner Landschafter"
hineingeraten, die „Scene aus dem altfranzösischen Roman de
la Rose" von Sir Edward Burne-Jones. R-A. „Der Pilger,
der auszog, die Liebe zu suchen, gelangt in den von einer
Mauer umgebenen „Garten des Lebens" und erblickt paar-
weise tanzend: Freundlichkeit und Heiterkeit, Schönheit und
Liebe, Reichtum und Freigebigkeit, Aufrichtigkeit und Höf-
lichkeit. Die Liebe ist als beflügelter Gott dargestellt und
nach der Überlieferung keltischer Sagen von Vögeln um-
schwärmt, die dieser Gottheit heilig waren." Soweit der
Katalog. — Wem das Bild nicht mehr sagt, der hätte frei-
lich nicht viel davon. „Die Jünger Rossetti's und Burne-
Jones sind im Wesentlichen Botticellisten." Diesen Satz fand
ich unlängst in einer Kritik, deren Autor mir augenblicklich
aus der Erinnerung gekommen ist. Der Ausdruck „im wesent-
lichen" hat seine Bedenken. Man kann ihn vielleicht eher
umgekehrt durch „im Unwesentlichen", bloß Äußerlichen,
Scheinbaren ersetzen. Denn ein Botticelli redivivus ist
Bume-Jones nur in sehr bedingter Weise. Das hier aus-
gestellte Bild, in seinem eigentümlich langgestreckten Format
und reichverzierten Rahmen, mag wohl dem Empfinden der
Mehrzahl schwer zugänglich sein. Für Künstler, mehr noch
für Historiker und „Liebhaber", wird eine intimere Betrach-
tung lohnen. Gewiss erinnert manches darin an den „Früh-
ling" des großen Quattrocentisten: die stilistische Anordnung
und Einteilung in abgesonderte Gruppen und die Linien-
sprache, deren bewegter Rhythmus eher von musikalischen
als rein malerischen Empfindungen auszugehen scheint. Das
Ganze durchzieht ein Hauch vom geheimnisvollen Gesetz
des Taktes, der im All fühlbar ist. Als letztes, am stärksten
in die Augen springendes Merkmal, das seltsame Wehen und
Flielien der Gewänder. Doch bis hierhin und nicht weiter
geht die Ähnlichkeit, durch deren äußere Berührungspunkte
der verschiedene Wesenskern nun klar zu Tage tritt. —
Botticelli'sDraperieen sind von dem hoffnungsvollen Frühlings-
sturm durchweht, der den gewaltigen Hochsommer der
Renaissance zeitigte; Bume-Jones' Gewänder nur noch ge-
tragen vom letzten Scheidegruss des klagenden Herbstwindes.
Zwischen beiden liegt ein weiter Weg, eine ganze Epoche,
Geburt, Reife — Tod. Botticelli's bewegte Figuren atmen
erquickenden Lebensodem, zu dem sie freudig erwacht sind;
Bume-Jones' überschlanke Gestalten wandeln nur noch wie
im Traume daher. Spätgeborene einer überfeinerten Zeit,
losgelöst von der Gegenwart, mit der sie im innersten Wider-
spruch stehen, scheinen sie wie längst Gestorbene und ver-
dichten sich nur noch zu Wesen der Erinnerung, getragen
von tiefer, wortloser Sehnsucht. Man ist versucht, einen
Ausdruck auf sie zu beziehen, mit dem die Spiritualisten
unsere Sprache bereichert haben: Dematerialisation. — Botti-
celli ist der Weckruf, die springende Knospe, Glaube, Ent-
faltung, — Epik; Bume-Jones der Blick in die Vergangenheit,
letzte spätreife Frucht, Wehmut, — äußerste Lyrik. Des
Italieners Naivetat der Formengebung, welche selbst im
Fehlerhaften das Zukünftige verspricht, die Intuition, die gar
nicht anders kann — hier wird sie zum raffinirten Wissen.
Alles ist gewollt, gekonnt, jahrelang überlegt — Reflexion.
Damit ist nicht gesagt, dass diese ganz ohne Gefühl ist, aber
sie beruht auf einer Empfindung des Gehirns mehr als auf
Blut und Temperament. Burne-Jones wie Botticelli richtet
ein G ebet an die Schönheit — und findet eigene W orte da-
für; doch wo Botticelli's Andacht innige Zuversicht und
gläubiges Frohlocken ist, tönt sie bei Burne-Jones in stiller,
feierlicher Traurigkeit aus, in jene Goethe'sche „Wonne der
Wehmut", die sich selbst genießt. Hinsichtlich der Kraft
und Reinheit der Farbe kann sich der Brite mit dem Ita-
liener nicht messen. Bei dem Ahnen klare Tiefe, feinge-
stimmte, aber volle Streichmusik der Geigen und Violen;
bei dem Epigonen gedämpfte, müde Harmonieen, wie vom
Zephyr berührte, ferne Äolsharfen. Die differenzirten Nerven
können die Vollkraft nicht mehr ertragen und vermeiden
ängstlich die leuchtende Klarheit. — Wer von solchen Ge-
sichtspunkten ausgehend sich in dieses Bild zu vertiefen ver-
mag, der wird am ehesten Aussicht haben, Burne-Jones'
Individualität annähernd gerecht zu werden und seine Kunst
weder — wie einige seiner glühendsten englischen Verehrer
— über ihre Bedeutung werten, noch teilnahmlos an ihr
vorübergehen können. Unter den Italienern sind die tüchtigen,
technisch auf bedeutender Höhe bleibenden Aquarelle Oustav
Simoni's genugsam bekannt und beliebt. Mit Ansichten aus
Pompeji und Siena zeigt sich ein frisches Talent: Luigi
Bassani in Rom. Ein geschickter Pastellist ist Arturo Hiclii
in Triest, doch bewegt sich seine Darstellungsweise in tech-
nischer Hinsicht nicht immer in denjenigen Grenzen, bis zu
welchen auch das größere Publikum allenfalls noch unge-
schulten Blickes mit Verständnis zu folgen vermöchte.
Künstler sollten nicht vergessen, dass sie sich auf einer
falschen Bahn befinden, wenn sie meinen, Studien vor die
Offentlichkeit bringen zu dürfen, die nur das geübte Auge
der Fachgenossen zu erkennen vermag; mögen sie, wie diese
virtuosen „Abendstudien", technisch noch so interessant sein,
den Uneingeweihten überzeugen sie nicht genug und ver-
mögen darum auch das Publikum nicht zu bilden, weil eine
zu weite Kluft es von den Vorbedingungen zum Verständnis
des Handwerks in der Kunst trennt. Wertvoller sind in
dieser Hinsicht einige von Rietti's Porträtstudien, zumal in
koloristischer Beziehung. Ein anderer Pastellist, Josef
Casciaro in Neapel, der sich der Landschaft widmet, erzielt
breite, sichere Wirkungen mit einfachen Mitteln — aller-
dings nicht ganz so einfach, wie sie auf den ersten Blick
erscheinen. — Die „Marine von Portici" ist vielleicht eins
der glücklichsten und lehrreichsten Beispiele dafür, wie man mit
diesem Material umgehen soll, um auf einige Entfernung
stimmungsvolle Wirkungskraft zu erzielen. Für die Fran-
zosen, Belgier, Skandinavier, Schotten u. s. w. scheint Wien
nicht zu existiren. Sie glänzen sämtlich durch Abwesenheit.
WILHELM SCHÜLERMANN.
Sammlungen und Ausstellungen.
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und einen hohen Grad von Langweiligkeit erreicht. Um-
kehren — so lange es noch Zeit ist! — Heinrich Le.flcr's
Originale zu den von der Gesellschaft für vervielfältigende
Kunst herausgegebenen Illustrationen zu Andersen's Märchen
(„Prinzessin und Schweinehirt") ragen zeichnerisch hervor.
Dass das Kolorit ein klein wenig süßlich ist, mag nicht un-
erwähnt sein, doch kann das auch mit Bewusstsein hier ge-
schehen und als ein dem Inhalt des Thema's entsprechendes
Moment aufgefasst werden. Lefter ist mit der Fähigkeit
begabt, in den feinen Sinn solcher Märchen einzudringen und
das herauszuholen, was den merkwürdigen Zauber Andersen's
bildet: die unvergleichliche Mischung von Kindergemüt und
Spottlust, von naiver Beobachtung und Weltkenntnis. „Süperbe,
charmant" sagten „die Hofdamen, denn sie plauderten alle
französisch, eine immer ärger als die anderen". Was in
diesen Stellen oder in solchen wie: „Guten Tag, Kaiser!"
(sagte der als Schweinehirt verkleidete Prinz) liegt,, das ist
mit ungewöhnlicher Treffsicherheit aus der Sprache in die
Linienkunst übertragen. — Die frischesten Stücke in Gouache
und Aquarell von Land und Stadt, Haus, Hof und Hinter-
thür, Markt und Straße und wie die „Motive" alle heißen,
steuerten iAidivig Hans Fischer, Carl Pippick, Hans Witt
(Syrakus), Jettel, Charlemont, Geller, Amcscdcr, Zctschc, Ehr-
manns und andere bei. — Aus Privatbesitz geliehen, ist
ein Prärafaelit in die bunte Schar „moderner Landschafter"
hineingeraten, die „Scene aus dem altfranzösischen Roman de
la Rose" von Sir Edward Burne-Jones. R-A. „Der Pilger,
der auszog, die Liebe zu suchen, gelangt in den von einer
Mauer umgebenen „Garten des Lebens" und erblickt paar-
weise tanzend: Freundlichkeit und Heiterkeit, Schönheit und
Liebe, Reichtum und Freigebigkeit, Aufrichtigkeit und Höf-
lichkeit. Die Liebe ist als beflügelter Gott dargestellt und
nach der Überlieferung keltischer Sagen von Vögeln um-
schwärmt, die dieser Gottheit heilig waren." Soweit der
Katalog. — Wem das Bild nicht mehr sagt, der hätte frei-
lich nicht viel davon. „Die Jünger Rossetti's und Burne-
Jones sind im Wesentlichen Botticellisten." Diesen Satz fand
ich unlängst in einer Kritik, deren Autor mir augenblicklich
aus der Erinnerung gekommen ist. Der Ausdruck „im wesent-
lichen" hat seine Bedenken. Man kann ihn vielleicht eher
umgekehrt durch „im Unwesentlichen", bloß Äußerlichen,
Scheinbaren ersetzen. Denn ein Botticelli redivivus ist
Bume-Jones nur in sehr bedingter Weise. Das hier aus-
gestellte Bild, in seinem eigentümlich langgestreckten Format
und reichverzierten Rahmen, mag wohl dem Empfinden der
Mehrzahl schwer zugänglich sein. Für Künstler, mehr noch
für Historiker und „Liebhaber", wird eine intimere Betrach-
tung lohnen. Gewiss erinnert manches darin an den „Früh-
ling" des großen Quattrocentisten: die stilistische Anordnung
und Einteilung in abgesonderte Gruppen und die Linien-
sprache, deren bewegter Rhythmus eher von musikalischen
als rein malerischen Empfindungen auszugehen scheint. Das
Ganze durchzieht ein Hauch vom geheimnisvollen Gesetz
des Taktes, der im All fühlbar ist. Als letztes, am stärksten
in die Augen springendes Merkmal, das seltsame Wehen und
Flielien der Gewänder. Doch bis hierhin und nicht weiter
geht die Ähnlichkeit, durch deren äußere Berührungspunkte
der verschiedene Wesenskern nun klar zu Tage tritt. —
Botticelli'sDraperieen sind von dem hoffnungsvollen Frühlings-
sturm durchweht, der den gewaltigen Hochsommer der
Renaissance zeitigte; Bume-Jones' Gewänder nur noch ge-
tragen vom letzten Scheidegruss des klagenden Herbstwindes.
Zwischen beiden liegt ein weiter Weg, eine ganze Epoche,
Geburt, Reife — Tod. Botticelli's bewegte Figuren atmen
erquickenden Lebensodem, zu dem sie freudig erwacht sind;
Bume-Jones' überschlanke Gestalten wandeln nur noch wie
im Traume daher. Spätgeborene einer überfeinerten Zeit,
losgelöst von der Gegenwart, mit der sie im innersten Wider-
spruch stehen, scheinen sie wie längst Gestorbene und ver-
dichten sich nur noch zu Wesen der Erinnerung, getragen
von tiefer, wortloser Sehnsucht. Man ist versucht, einen
Ausdruck auf sie zu beziehen, mit dem die Spiritualisten
unsere Sprache bereichert haben: Dematerialisation. — Botti-
celli ist der Weckruf, die springende Knospe, Glaube, Ent-
faltung, — Epik; Bume-Jones der Blick in die Vergangenheit,
letzte spätreife Frucht, Wehmut, — äußerste Lyrik. Des
Italieners Naivetat der Formengebung, welche selbst im
Fehlerhaften das Zukünftige verspricht, die Intuition, die gar
nicht anders kann — hier wird sie zum raffinirten Wissen.
Alles ist gewollt, gekonnt, jahrelang überlegt — Reflexion.
Damit ist nicht gesagt, dass diese ganz ohne Gefühl ist, aber
sie beruht auf einer Empfindung des Gehirns mehr als auf
Blut und Temperament. Burne-Jones wie Botticelli richtet
ein G ebet an die Schönheit — und findet eigene W orte da-
für; doch wo Botticelli's Andacht innige Zuversicht und
gläubiges Frohlocken ist, tönt sie bei Burne-Jones in stiller,
feierlicher Traurigkeit aus, in jene Goethe'sche „Wonne der
Wehmut", die sich selbst genießt. Hinsichtlich der Kraft
und Reinheit der Farbe kann sich der Brite mit dem Ita-
liener nicht messen. Bei dem Ahnen klare Tiefe, feinge-
stimmte, aber volle Streichmusik der Geigen und Violen;
bei dem Epigonen gedämpfte, müde Harmonieen, wie vom
Zephyr berührte, ferne Äolsharfen. Die differenzirten Nerven
können die Vollkraft nicht mehr ertragen und vermeiden
ängstlich die leuchtende Klarheit. — Wer von solchen Ge-
sichtspunkten ausgehend sich in dieses Bild zu vertiefen ver-
mag, der wird am ehesten Aussicht haben, Burne-Jones'
Individualität annähernd gerecht zu werden und seine Kunst
weder — wie einige seiner glühendsten englischen Verehrer
— über ihre Bedeutung werten, noch teilnahmlos an ihr
vorübergehen können. Unter den Italienern sind die tüchtigen,
technisch auf bedeutender Höhe bleibenden Aquarelle Oustav
Simoni's genugsam bekannt und beliebt. Mit Ansichten aus
Pompeji und Siena zeigt sich ein frisches Talent: Luigi
Bassani in Rom. Ein geschickter Pastellist ist Arturo Hiclii
in Triest, doch bewegt sich seine Darstellungsweise in tech-
nischer Hinsicht nicht immer in denjenigen Grenzen, bis zu
welchen auch das größere Publikum allenfalls noch unge-
schulten Blickes mit Verständnis zu folgen vermöchte.
Künstler sollten nicht vergessen, dass sie sich auf einer
falschen Bahn befinden, wenn sie meinen, Studien vor die
Offentlichkeit bringen zu dürfen, die nur das geübte Auge
der Fachgenossen zu erkennen vermag; mögen sie, wie diese
virtuosen „Abendstudien", technisch noch so interessant sein,
den Uneingeweihten überzeugen sie nicht genug und ver-
mögen darum auch das Publikum nicht zu bilden, weil eine
zu weite Kluft es von den Vorbedingungen zum Verständnis
des Handwerks in der Kunst trennt. Wertvoller sind in
dieser Hinsicht einige von Rietti's Porträtstudien, zumal in
koloristischer Beziehung. Ein anderer Pastellist, Josef
Casciaro in Neapel, der sich der Landschaft widmet, erzielt
breite, sichere Wirkungen mit einfachen Mitteln — aller-
dings nicht ganz so einfach, wie sie auf den ersten Blick
erscheinen. — Die „Marine von Portici" ist vielleicht eins
der glücklichsten und lehrreichsten Beispiele dafür, wie man mit
diesem Material umgehen soll, um auf einige Entfernung
stimmungsvolle Wirkungskraft zu erzielen. Für die Fran-
zosen, Belgier, Skandinavier, Schotten u. s. w. scheint Wien
nicht zu existiren. Sie glänzen sämtlich durch Abwesenheit.
WILHELM SCHÜLERMANN.