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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Hellwag, Fritz: Was bedeutet die Ausstellung München 1908?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0010

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DIE AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908



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HALLE III (GRAPHIK, WOHLFAHRT, SCHULEN) UND VERBINDUNOSQANQ ZUM THEATERCAFE W. BERTSCH UND P. PFANN

zu haben, indem man die glänzendsten Momente früherer Kunstepochen mit heißem Bemühen wieder durch-
lebte! — Nichts konnte der »Reaktion von oben« willkommener sein, als so das deutsche Volk von den politischen
und künstlerischen Aufgaben der Gegenwart auf die Vergangenheit abgelenkt zu sehen. Diese rückschauenden
Bestrebungen wurden deshalb von oben auf das nachdrücklichste unterstützt. Es ist hierbei nicht ohne
weiteres eine bewußte Böswilligkeit anzunehmen, sondern die Behörden und Leiter des Volkes mögen sich
in dem guten Glauben befunden haben, dem Volke das zukommen zu lassen, was ihm am besten frommte.
Mehr oder weniger hat sich dies Schauspiel auch bei den anderen europäischen Kulturnationen abgespielt,
nur mit dem Unterschiede, daß das Bürgertum in den anderen Ländern ungefähr um 30 bis 50 Jahre früher
zur künstlerischen und politischen Reife gelangte. □

□ Als nun endlich das deutsche Reich zusammengeschmiedet wurde, da war diese Tat grundverschieden

von dem im Jahre 1848 ersehnten Zusammenschluß. Während sie damals eine impulsive Handlung des ganzen
Volkes gewesen wäre, geschah sie hier als eine wohl bewunderungswürdige Vollendung zielbewußter diploma-
tischer Vorbereitungen der Regierung, an denen aber das Bürgertum, im Sinne der früheren Bestrebungen, gar
nicht oder nur sehr wenig beteiligt war. Das Jahr 1871 fand daher ein Bürgertum vor, daß die zur Selbst-
bestimmung und Selbstregierung notwendige Reife noch lange nicht besaß. Der glückliche Ausgang des
Krieges und die ungeheuren Summen, die nach Deutschland gelangten, kamen deshalb weniger den Kultur-
bestrebungen als dem deutschen Handel und der Industrie zugute. Diese widmeten sich freilich mit unge-
heurem Fleiße und Zielbewußtsein ihrer Pionieraufgabe: den äußerlichen Wohlstand des Volkes zu befestigen.
Man glaubte, damit schon alles getan zu haben, um als deutsches Volk auch eine innere Einheit zu bilden.
Das war eine falsche Hoffnung, denn neben der äußeren Reife mußte eine innere vor sich gehen, eine Reife
zur Selbstbestimmung des Einzelnen und der ganzen Volkseinheit. Solche Erfahrung wurde in jeder Be-
ziehung erst in den letzten zehn Jahren gemacht. Es kommt dem deutschen Bürgertume zum Bewußtsein, daß

HÄUSER AUS DEM VERGNÜGUNGSPARK

VON LINKS NACH RECHTS: VON FRITZ KLEE, PETER DANZER, UNGENANNT
 
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