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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Hillig, Hugo: Der kunstgewerbliche Arbeiter, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0233

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DER KUNSTGEWERBLICHE ARBEITER

II. DER BILDHAUERBERUF

a Der Beruf des Bildhauers ist ziemlich verzweigt; nach
außen hängt er mit dem des Modelleurs, des Modell-
tischlers, des Stukkateurs, des Oipsgießers zusammen, in
sich enthält er die beiden großen Kategorien des Holz-
bildhauers, der den Beruf des Tischlers und des Drechslers
berührt, und des Steinbildhauers, der mit dem Beruf des
Steinmetzen und weiterhin des Steinsetzers und des Maurers
eine bestimmte Verwandtschaft aufweist. o

o Und um es gleich zu sagen, diese innere Gruppierung
des kunstgewerblichen Bildhauerberufes wird wahrschein-
lich in absehbarer Zeit auch seine organisatorisch logische
Folgerung finden, indem sich der Bildhauerverband mit
dem Holzarbeiterverband verschmelzen wird, in dem die
Tischler, die Drechsler und eine ganze große Reihe anderer
Holz und ähnlicher Materialien verarbeitender Gewerbe
ihre Organisation der Arbeiter gefunden haben. Zwar
sträuben sich die Steinbildhauer im Bildhauerverband noch
gegen diese Verschmelzung und unwahrscheinlich ist es
nicht, daß sie später sich den Verbänden der Bauarbeiter
anschließen, von denen eine ganze Reihe, z. B. der Ver-
band der Stukkateure, sich mit dem Maurerverband ver-
schmelzen werden. □
□ Der Bildhauerberuf würde dann eine selbständige
Organisation seiner Abeiter nicht mehr haben und eine,
trotz ihrer verhältnismäßigen Kleinheit musterhaft einge-
richtete Gewerkschaft würde in einer größeren aufgehen, o
o Der Grund hierfür kann hier nicht in all seiner Breite
besprochen werden, aber das eine ist anzuführen: die
Holzbildhauer, die im Bildhauerverband die große Mehr-
zahl ausmachen, stehen in einer ganz natürlichen und un-
umgehbaren Interessengemeinschaft mit den Holzarbeitern
und für die rein gewerkschaftlichen Zwecke mag dann
wohl ein solcher Anschluß an den größeren und leistungs-
fähigeren Verband dienlich sein. □
o Wir besprechen den Bildhauerverband in dieser Artikel-
folge zuerst, weil er, namentlich was den Holzbildhauer
angeht, ein wahres Schulbeispiel darstellt für die Folgen
einmal der Stilbewegung des letzten Jahrzehnts und dann
auch der technischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte
- ein Schulbeispiel, wie es klarer nicht gedacht werden
kann. Und auch die organisatorische Interessengemein-
schaft wird verständlicher, wenn man sie zunächst vom
Standpunkt der Stilbewegung und der kunstgewerblichen
Entwicklung der letzten Zeit und auch vom Standpunkt
der technischen, industriellen, kapitalistischen Entwicklung
aus betrachtet. □
o In dem Maße nämlich, als die Möbelerzeugung und
die kunstgewerbliche Holzverarbeitung großkapitalistische
Formen annahm, mußte die Holzbildhauerei ihre Selb-
ständigkeit aufgeben. Und in demselben Maße, wie die
Möbelfabriken und die Holzwarenindustrie Massenartikel
produzierten und die Schreiner-Renaissance in diesen Massen-
artikeln bis herab zu den hölzernen Galanteriewaren auf
das erbärmlichste tot ritt, in demselben Maße mußte sich
auch, die Holzbildhauerei in das Joch dieser Art von Pro-
duktion beugen, in der die Qualität nichts, die Quantität
aber alles ist. Der Holzarbeiter wurde aus dein Stückarbeiter
zum Akkordarbeiter ausgeprägtester Form und aus dem
Handwerker mit vollständiger Berufsausbildung und mit
einem berechtigten Stolz auf diese Ausbildung ward ein
Teilarbeiter im schlimmsten Sinne des Wortes, ein Teil-
arbeiter, dessen Lehrmeister die Fabrik war, in der er ge-
rade nur das zu lernen brauchte, was er als Teilarbeiter
können mußte. Wie diese Entwicklung auf die Qualität
einer großen Kategorie von Bildhauerarbeiten gewirkt hat,

das sieht man heute noch in Galanterie- und Kleinmöbel-
geschäften, a

□ Aber auch noch andere Zusammenhänge bestehen
zwischen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage des
Bildhauerberufes auf der einen, und der Stilentwicklung
wie auch der technischen Entwicklung auf der anderen
Seite. Wie die Schreiner-Renaissance und die anderen auf-
gewärmten Stilarten unter der Hand des nur kapitalistischen,
kaufmännischen Produzenten, d. h. des Betriebsinhabers,
bis zur Karikatur gebracht wurde, so ward die Skulptur
am Möbel zum bloßen Anhängsel, zur Zugabe, die in
keinem anderen Zusammenhang zum Möbelstück stand,
als daß sie nachträglich auf das fertige Stück mit Leim
und ein paar Drahtstiften gehängt wurde. Das brachte
dreierlei Folgen. Die Holzschnitzereien konnten auf Vor-
rat gemacht werden, die Holzbildhauerarbeit konnte, ohne
daß der Gebrauchszweck der Möbel litt, weggelassen
werden, als sich der Geschmack hierzu geneigt zeigte, und
die von allem organischen Zusammenhang mit den Kon-
struktionsteilen des Möbelstückes befreiten Zierate konnten
auch aus Surrogaten gequetscht werden. n

□ Erst die Holzschnitzerei, auf Vorrat die geschnitzten
Möbelteile als Massen wäre; dutzendweise, schockweise,
satzweise wurden die geschnitzen Teile, die Aufsätze, die
Füllungen, die Kapitelle bestellt, und auch der handwerks-
mäßige Tischlermeister im kleinsten Neste wurde von den
Katalogen der Berliner Holzindustriellen erreicht und er
bestellte nach diesen Katalogen. Als in den siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts das verballhornte Möbel-
barock von der verballhornten Möbelrenaissance abgelöst
wurde, blieben dem Tischlermeister die auf Vorrat be-
zogenen Barockteile liegen und nur langsam wagte er die
Aufsätze mit den geschweiften Simsführungen aufzuarbeiten;
die Kundschaft verlangte die Muschelaufsätze. Und allein
wenn man an die Muschelaufsätze denkt, so kann man
schon begreifen, wohin es mit der Holzbildhauerei ge-
kommen war. □

□ Der Konsum war groß und da war die Surrogat-
industrie auch schon zur Stelle. Die brauchte die Holz-
bildhauer gar nicht mehr, sondern sie quetschte aus Leim,
Harz und Sägespänen alle diese Möbelzierate, wie sie das
schon namentlich in der Rheingegend um die Mitte des
19. Jahrhunderts getan hatte. Die Formstücke erhielten
einen holzfarbenen Anstrich, oder bei fournierten Möbeln
konnte man sogar gequetschte Ornamente anwenden, die
mit einem, hört, hört, echten Holzspan überzogen waren.
Und wenn das Original gut war, so waren die Nachbil-
dungen, wenn auch nicht gut, so doch formal oft vorzüg-
lich, und das bedeutete selbstverständlich für jene Zeit eine
große Konkurrenz für den Holzbildhauer. a

□ Heute fristet auch diese Surrogatindustrie ein ärmliches
Dasein, aber dem Holzbildhauer ist deshalb nicht wohler
geworden. Denn mittlerweile hat auch seine Arbeit zum
großen Teil die Abkehr erhalten, und was noch blieb, was
wirklich echt im Material sein mußte, das wurde ihm von
dem eisernen Kollegen, der Fräsmaschine, abgenommen.
Die Reliefkopiermaschine, die nach einem Original zu
gleicher Zeit mehr als eine Kopie fast automatisch her-
stellen konnte, entstand ihm als neuer Konkurrent. Vor-
her hatte sie wohl schon grobe Einzelheiten gemacht, aber
jetzt arbeitete sie so korrekt, daß nur ein leichtes Nach-
putzen für den Holzbildhauer noch übrig blieb. Und nach
einem guten Original mußten also, wenn die Maschine
korrekt arbeitete, auch gute Kopien entstehen. o
a Und darin lag nun, was vorher nicht erreicht werden
konnte: neben Quantität auch Qualität. Die Möglichkeit,
mit der Maschine das Holz in vollkommener Weise
 
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