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DIE AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908
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PFEILERFIOUREN
EDUARD BEYRER
die erstrebte Expansion des deutschen Volkes nur dann Dauer haben könnte, wenn sie von einem wirklich
selbständigen deutschen Volksparlamente und nicht von einem zufälligen Kabinette ausginge und geleitet
würde; ferner, daß das deutsche Volk als große Kultureinheit in der Welt nur dann anerkannt und geachtet
werden könnte, wenn sein innerster Kern wahr und bescheiden sei und seine Lebensführung diesem inneren
Kerne vollkommen entspräche. In der Hauptsache lag die Unwahrhaftigkeit unseres Lebens, die unsere Er-
zeugnisse übertrieben und haltlos machte, in der Nachahmung des Oebahrens einer Bevölkerungsklasse,
die doch längst dazu bestimmt war, vom Bürgertume abgelöst zu werden. In der Verkennung der Auf-
gaben: nicht Fremdes anzunehmen, sondern Eigenes von innen heraus zum Ausdruck zu bringen, lag der
große Fehler, der uns im friedlichen Streite der Völker bisher nicht die Stelle einnehmen ließ, die wir nach
unserer Größe und Bedeutung einzunehmen berechtigt wären. □
□ Jetzt sind wir »späte Patrioten«! Das deutsche Bürgertum hätte, wie bei den anderen Völkern,
50 Jahre früher zur Entwicklung kommen müssen, denn nun, da wir uns anschicken, endlich unser bürgerlich
Mahl zu bereiten, da pocht schon ein neues kulturhungriges Geschlecht an die Pforte! »Die Kunst dem
Volke!« — Der »vierte« Stand ist in den letzten 50 Jahren, um die das deutsche Bürgertum in seiner Ent-
wickelung gewaltsam zurückgebracht wurde, herangereift, und stellt uns schon vor die zwingende Notwendig-
keit, uns auch mit seinen kulturellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, wollen wir wirklich Zukunft und
nicht wieder Vergangenheit schaffen. °
d Und siehe da, wie in der schlimmsten Zeit die Wissenschaft es gewesen war, die tröstend ihre
Kunstgeschichte vor uns aufgebaut hatte, so bietet sie uns auch jetzt — im Zeichen unserer Kraft — das
Mittel, den Forderungen der Zukunft gerecht zu werden: die Maschine/ Die Maschine gibt uns die Mög-
lichkeit, nicht mehr allein für die Reichen oder Diejenigen, die Reichtum vortäuschen wollen, zu schaffen,
sondern wir werden mit ihrer Hilfe dem ganzen Volke das Heim errichten können, das seinen wirtschaft-
lichen Verhältnissen wirklich entspricht und eine Ruhestätte seiner gesammelten Kraft werden kann. Aber,
da wir es unternehmen, die Maschine in die gewerbliche Produktion einzuführen oder ihre bereits begonnene
Tätigkeit zu kontrollieren, müssen wir uns klar werden, wie Handwerk und Maschinenarbeit zueinander stehen.
Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Maschinenarbeit das Handwerk stark beeinträchtigen wird, und daß deshalb
eine möglichst reinliche Scheidung vorgenommen werden muß. Die bewußt schon vorbereitete Vereinfachung
der Gegenstände unseres täglichen Lebens scheint die Möglichkeit entwickelt zu haben, diese Gegenstände
DIE AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908
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PFEILERFIOUREN
EDUARD BEYRER
die erstrebte Expansion des deutschen Volkes nur dann Dauer haben könnte, wenn sie von einem wirklich
selbständigen deutschen Volksparlamente und nicht von einem zufälligen Kabinette ausginge und geleitet
würde; ferner, daß das deutsche Volk als große Kultureinheit in der Welt nur dann anerkannt und geachtet
werden könnte, wenn sein innerster Kern wahr und bescheiden sei und seine Lebensführung diesem inneren
Kerne vollkommen entspräche. In der Hauptsache lag die Unwahrhaftigkeit unseres Lebens, die unsere Er-
zeugnisse übertrieben und haltlos machte, in der Nachahmung des Oebahrens einer Bevölkerungsklasse,
die doch längst dazu bestimmt war, vom Bürgertume abgelöst zu werden. In der Verkennung der Auf-
gaben: nicht Fremdes anzunehmen, sondern Eigenes von innen heraus zum Ausdruck zu bringen, lag der
große Fehler, der uns im friedlichen Streite der Völker bisher nicht die Stelle einnehmen ließ, die wir nach
unserer Größe und Bedeutung einzunehmen berechtigt wären. □
□ Jetzt sind wir »späte Patrioten«! Das deutsche Bürgertum hätte, wie bei den anderen Völkern,
50 Jahre früher zur Entwicklung kommen müssen, denn nun, da wir uns anschicken, endlich unser bürgerlich
Mahl zu bereiten, da pocht schon ein neues kulturhungriges Geschlecht an die Pforte! »Die Kunst dem
Volke!« — Der »vierte« Stand ist in den letzten 50 Jahren, um die das deutsche Bürgertum in seiner Ent-
wickelung gewaltsam zurückgebracht wurde, herangereift, und stellt uns schon vor die zwingende Notwendig-
keit, uns auch mit seinen kulturellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, wollen wir wirklich Zukunft und
nicht wieder Vergangenheit schaffen. °
d Und siehe da, wie in der schlimmsten Zeit die Wissenschaft es gewesen war, die tröstend ihre
Kunstgeschichte vor uns aufgebaut hatte, so bietet sie uns auch jetzt — im Zeichen unserer Kraft — das
Mittel, den Forderungen der Zukunft gerecht zu werden: die Maschine/ Die Maschine gibt uns die Mög-
lichkeit, nicht mehr allein für die Reichen oder Diejenigen, die Reichtum vortäuschen wollen, zu schaffen,
sondern wir werden mit ihrer Hilfe dem ganzen Volke das Heim errichten können, das seinen wirtschaft-
lichen Verhältnissen wirklich entspricht und eine Ruhestätte seiner gesammelten Kraft werden kann. Aber,
da wir es unternehmen, die Maschine in die gewerbliche Produktion einzuführen oder ihre bereits begonnene
Tätigkeit zu kontrollieren, müssen wir uns klar werden, wie Handwerk und Maschinenarbeit zueinander stehen.
Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Maschinenarbeit das Handwerk stark beeinträchtigen wird, und daß deshalb
eine möglichst reinliche Scheidung vorgenommen werden muß. Die bewußt schon vorbereitete Vereinfachung
der Gegenstände unseres täglichen Lebens scheint die Möglichkeit entwickelt zu haben, diese Gegenstände