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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

DOI article:
Hellwag, Fritz: Was bedeutet die Ausstellung München 1908?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0012

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DIE AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908



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PFEILERFIOUREN

HUBERT NETZER

zum größten Teile durch Maschinenarbeit herzustellen. Die nächsten Jahre werden solche Aufgaben der Maschine
immer klarer erkennen lassen. Aber, indem sich der Wirkungskreis der Maschine erheblich vergrößert, wird
doch endlich für das Handwerk und Kunsthandwerk die langersehnte Klarheit geschaffen werden. Im Gegen-
sätze zu dem Irrtum der letzten 50 Jahre, der glaubte, jeden Gegenstand durch äußerliche ornamentale Ver-
zierung kunstgewerblich machen zu können und zu sollen, beginnen wir einzusehen, daß es direkt zur Über-
treibung und Unwahrhaftigkeit führen müßte, wenn wir in jedem Gegenstande ein »künstlerisches Objekt«
erblicken wollten. Wir sind zu der Erkenntnis gelangt, daß ein richtiges Ausmaß der Verhältnisse, eine
dem Zweck des Gegenstandes wirklich entsprechende, reine Form ihn der Umgebung bedeutend besser einfügt,
als wenn wir, wie früher, das auf ihm angebrachte Gewirr von Motiven zu einer sogenannten Dekoration
verwenden. Es werden also viele Gegenstände — allerdings erst, wenn das Gefühl für Rhythmik und das
Spiel der inneren Kräfte wieder Allgemeingut geworden sein wird — der kunstgewerblichen Produktion
entzogen werden. Aber gerade diese Abgrenzung des Gebietes nach unten wird dem wirklichen Kunstgewerbe
sehr zugute kommen. Die einfacheren Gegenstände, bei denen es weniger auf eine künstlerische Form
als auf die richtige Berechnung der Verhältnisse ankommt, werden mehr dem Gewerbe und der Industrie
überlassen werden. Dagegen wird das Kunsthandwerk wieder mit größerer Schaffensfreudigkeit Gegenstände
hervorbringen, bei denen es auch auf eine individuelle Gestaltung und auf einen reinen und reifen, persön-
lichen Geschmack ankommt. Die Maschinenarbeit wird also regulierend auf die höhere Wertschätzung des
Kunsthandwerkes einwirken! ,..,,' . . .

Auch unsere Künstler, die sich dem Kunstgewerbe vor 10 Jahren zugewendet haben, befanden sich
anfangs in dem großen Irrtum, daß sie glaubten, jeder Gegenstand müßte künstlerisch »individuell« gestaltet
werden! Und da sie von der Nachahmung der früheren Stile unbedingt loskommen wollten, feierte ihr
Individualismus seltsame Orgien, die schließlich in das Raketenfeuer des Jugendstiles ausarteten und in dem be-
kannten grotesken Purzelbaum der Industrie ihren Abschluß fanden. Dieses scheinbare Fiasko brachte aber
die Erkenntnis, daß es zunächst darauf ankäme, das Gefühl für Architektur und innere Rhythmik und
für das mystische Leben des Gegenstandes selbst wieder zu finden.

Diesen Kern der architektonischen Gestaltung von innen heraus haben unsere Künstler wieder-
gefunden! Nach teilweise übertriebener, puritanischer Vereinfachung der kleineren kunstgewerblichen Ge-
brauchsgegenstände, die den Kunsthandwerkern so viel Sorge und Kopfschütteln verursachte, wandten sich
 
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