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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Westheim, Paul: Paul Scheurich
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0041

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ARBEITEN VON PAUL SCHEURICH







Paul Scheurich

Der einsame Geiger (Bleistiftzeichnung)

Wehchen .. . Eine eigenwillige Romantik voll neuer Ge-
sichte und frischer Einfälle. Eine — man muß beinahe
sagen: persönliche Phantasie, jung wie ein Frühlingstag,
farbenfroh wie eine morgenfrische Wiese, wo in dem satten
Grün der Gräser das Rot, das Gelb oder Blau der Blüten
zittert, und gänzlich unverbraucht. □

o Man wächst nicht umsonst im Riesengebirge auf, jenem
Märchenwinkel Deutschlands, wo Rübezahl und seine wilde
Sippe hausten, wo unsere stürmischsten Sagen ihren Heimats-
winkel haben. Der eisige Wind bläst seine schaurig-
düsteren Geheimnisse über die Höhen. Und wo eine
Felsschlucht sich öffnet, da malen sich die erregten Sinne
eine schaurige Zauberhöhle aus, wenn ein Kater über den
Weg springt, glaubt der Erschrockene dahinter schon die
Hexe zu sehen, die mit boshaftem Grinsen durch die Lüfte
sausend reitet, oder ein altes, verfallenes Gemäuer wird
wieder zum Ritterschloß, wo die Burgfräuleins tanzen oder
sich in gravitätischen Schritten ergehen, bedient oder ge-
neckt oder geliebt von einem verschrumpften, runzeligen
Gnomen. In solcher Atmosphäre hat sich Scheurich voll-
gesogen von jenen Elementen, die er in seinen Märchen-
bildern (Verlag Hollerbaum & Schmidt, Berlin) aussprudelt.
Die Bremer Stadtmusikanten, der Rattenfänger von Hameln,
Rotkäppchen, Hansel und Gretel, der gestiefelte Kater, (Ab-
bildungenfolgen), die wieder einmal zu einem neuen, lustigen

Reigen verknüpft sind. Kinderzimmerfriese und Märchen-
bilder sind in den letzten Jahren mehr als genug hergestellt
worden. Es fehlt denen meist auch nicht an einer glück-
lichen Erfindung und dekorativen Aufmachung. Aber man
spürt fast bei allen, wie brav sie ausgedacht, wie belehrend
sie gewollt, wie kühl überlegen sie geformt sind. Das
Auge der Eltern ist mit dekorativen Farbenverteilungen
geblendet worden, aber die Phantasie, die das Kind nun
einmal befriedigt haben will, bleibt unbeschäftigt. Die
Kleinen wissen nichts anzufangen mit den dekorativen Farb-
werten, die das gebildete Auge des Erwachsenen so an-
genehm ansprechen. Mit einem Worte, man spürt in diesen
vielen Märchenbildern zu stark — die Zeitbewegung. Die
»Verkunstung« der naiven, kindlichen Empfindungen, die
Bestrebungen der Kunst im Leben des Kindes und dergl.
waren die Modeströmungen, die plötzlich einen ganzen
Schwall von Märchenbildern anschwemmten, die schließlich
selbst den Erwachsenen nicht mehr gefallen konnten. o
o Man kommt an das Kind nur heran, wenn man seine
kindliche Freude für die Sache zu wecken versteht. Das
Kind folgt überallhin, man muß ihm nur den Weg recht
fesselnd gestalten. So auch hier. Diese Scheurichschen
Märchenbilder sind lustig, voll frischer Einfälle und be-
wegter Geschehnisse. Und wie stark sie auch stofflich
ansprechen, diese Lithographien besitzen zugleich die künst-
lerischen Qualitäten, mit denen wir das Auge bilden möchten.
Drei frische Farben, die Fläche sicher und keck aufgeteilt,
ganz aufs Dekorative gestellt und doch nicht ohne Stimmung
sind diese altbekannten Märchengestalten die Ausdrucks-
formen eines durchaus neuen, persönlichen Gestaltungs-
vermögens geworden. Rot, Blau und Grün stehen unge-
brochen und unvermittelt nebeneinander. Buntfarbig, hell-
leuchtend und doch nicht plakatmäßig grell springen die
Figuren aus dem grauen Hintergrund heraus, der allerdings
neutral aber auch ein wenig matt wirkt. Der Technik des
Steines, Farben durch Fettauflagen zu sondern, ist die Kom-
position abgelauscht. Jener Trieb in den Fingern, Linie
in Linie zu wirken, mit dem Zeichenstift unablässig an den
Figuren zu meißeln, entspricht nicht dem Wesen dieser
Technik, die im Liniengewirr ihre Leichtigkeit verliert, deren
Reize sich gerade aus dem Aneinanderstellen geschlossener
Farbflächen ergeben. Scheurich hat sich im Sinne dieser
Technik zu beherrschen verstanden; er hat mit leisen An-
deutungen gearbeitet, um Weiträumigkeit und Fülle zu
erzielen. Wie sind etwa auf den Blättern des Rattenfänger
von Hameln, den Siebenmeilenstiefeln mit ein paar Hin-
weisen ganze Landschaften entstanden. Es ist die Stärke
einer Primitivität, die sich nicht ins Bewußtsein drängt,
o Das Ausschwingen eines Themas bis ins letzte Deko-
rationsglied zeigt Scheurich in seinen Radierungen und
Bleistiftzeichnungen. Die sachlich-knappe, zwecknüchterne
Wirklichkeit genügt ihm auch hier nicht. Es müssen schon
Prinzessinnen mit ihren vornehmen, zart ergebenen Rittern
sein. Sie lassen sich die lang wallenden Schleppen tragen
von einem mißratenen Zwerg, der bald als Spaßmacher,
bald als väterlicher Berater, bald als bösartiger, tückischer
Kobold ihnen zugesellt ist. Es ist nicht die übliche elegante,
graziöse und kokette Grandseigneurstimmung, die solche
Werke mit einem mondainen Duft zu durchsetzen pflegt.
Und es ist auch nicht schwärmerische Sentimentalität nach
dem Holden, Fernen, Reichen, Außerbürgerlichen. Es ist
weit mehr die Absicht, der beengenden Realität auszu-
weichen und unbekümmert um die Existenzmöglichkeit aus
dem Vollen gestalten zu können. Da ist eine Linie voll
ausgelassenster Lustigkeit. Eine Überschneidung, unnatür-
lich, in leidenschaftlichster Phantastik hingeworfen und doch
voll charakteristischen Witzes. Und auf manchen Bleistift-
zeichnungen sind alle großen Konturen aufgelöst in weiche
 
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