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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

DOI Artikel:
Westheim, Paul: Paul Scheurich
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0042

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ARBEITEN VON PAUL SCHEURICH



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Nuancen einer arabeskenhaften Ornamentik. Eine ganze
Skala von Werten ist aus dem Graphit herausgeholt, und
eine Fläche in diesem Auf und Ab von Tönungen besitzt
für das Auge Reize, die mit reicheren Mitteln selten er-
reicht worden sind. °
n Welchen Fundus solche Qualitäten für die Buch-
illustration bilden, braucht man nicht weiter auszuführen.
Natürlich ist er am glücklichsten in jenen Erzählungen, wo
sich die Geschehnisse überkugeln, wo das physikalische
Gesetz der Schwerkraft aufgehoben scheint und aus der
Tragikomödie des menschlichen Lebens eine Vorstadt-
burleske mit naiven Kasperle-Effekten geworden ist. In
Münchhausensschwindelhaften Autosuggestionen, in Grabbes
titanenheißem Bohemeüberschwang witterte er Geist von
seinem Geist. Und vielleicht ist Scheurich wie kein anderer
berufen, Wilde zu illustrieren — wo er am wenigsten Wilde
ist. Ich meine jene kleinen kostbaren Märchen, etwa den
»Geburtstag der Infantin« mit der Fülle ihrer färben- und
gestaltenreichen Bilder. □
o Solche Aufgaben sind dem Künst-
ler noch nicht oft gestellt worden.
Um so bemerkenswerter ist es, wie die
Reklameindustrie, die sich ja immer auf
dem Qui vive halten muß, diese frische
Kraft mit Beschlag zu belegen sucht.
Einen Menschen mit einem solch siche-
ren Können, einem so reichen Ausdrucks-
vermögen und dieser originalen Phan-
tasie durfte man nicht entwischen lassen.
So hat Scheurich in den letzten zwei
Jahren Plakate, Reklamekalender und
Inserate — namentlich den witzigen
und eigenartigen Anzeigentyp einer
großen Sektfirma — gestaltet. Eine
straffe Selbstzucht, sich dem Zweck
vollständig zu unterwerfen, hat diese
Gestaltungen bestimmt und so sind auch
hier Werte entstanden. Werte von
hoher, künstlerischer wie auch reklame-
technischer Qualität. Damit hat Scheu-
rich eines der ersten kunstgewerblichen
Erfordernisse erfüllt und braucht nicht,
wie so viele andere, die nicht frei ge-
stalten dürfen und sich dem erwünsch-
ten Zweck nicht unterordnen möchten,
in Zwitterdingen zu versagen. Ja, im
Stillen — das breite Publikum hat ihn
als Reklamekünstler noch nicht ganz er-
kannt — wittert man in ihm den kom-
menden Reklamekünstler der Reichs-
hauptstadt. Der Grund ist schnell ge-
geben: Seit einigen Jahren herrscht
hier eine streng sachliche, rein orna-
mentale und — bei aller inneren Qualität
— recht phantasielose Art, die mit
ein paar Farbflecken, ein paar Linien
und einer vorzüglichen Schrift tat-
sächlich starke Wirkungen erzielt hat.
Ein Edel mit seiner Erfindungsgabe
und seinem schnodderigen Humor
hat sich davor bereits zurückziehen
müssen. Der Rückschlag kann schließ-

lich nicht ausbleiben, da hier wie sonst nirgends die Erfolge
auf dem Gegensatz beruhen. Eine ursprüngliche Phantasie
und eine Sicherheit des formalen Ausdrucks, wie sie Scheurich
in so hohem Maße besitzt, scheinen wirklich den frischen
Impuls zu bieten, den alle Reklamekünste ständig neu ver-
langen. D
o Die Entwickelungskurve wird über kurz oder lang wohl
so verlaufen. Vielleicht darf man sagen leider. Denn es
wäre doch eigentlich schade, wenn eine so eigenwillige
Kraft ganz aufgezehrt würde von den Reklamebedürfnissen
eines gleichgültigen Kapitalismus, wenn ein solcher gedie-
gener künstlerischer Reichtum verloren gehen müßte an
gewöhnliche und schnell vergängliche Tagesaufgaben. Allein
auch in Scheurich steckt jener unbezähmbare Künstlerdrang,
Dauerwerte über den Tag hinaus zu schaffen. Und man
kann bei einem so jungen Künstler nicht wissen, welche
Aufgaben ihm die Zukunft noch stellen wird. n

PAUL WESTHEIM.



^^■HH

»Spaziergang«, Zeichnung von
Paul Scheurich, Berlin
 
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