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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Widmer, Karl: Handwerk und Maschinenarbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0058

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HANDWERK UND MASCHINENARBEIT



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einfache Streifen, Quadrate 11. dgl., entsprechen in ihrer
neutralen Unpersönlichkeit auch dem unpersönlichen
Charakter mechanischer Herstellungsweisen: dem Stan-
zen, Walzen, Pressen usw. Wenn also der moderne
Geschmack das »gegenstandslose Ornament« bevorzugt,
so hat das seine gute Berechtigung. Es liegt darin eine
Klärung des Stilgefühls; man lernt allmählich, von der
Maschine nicht mehr zu verlangen, als was sie zu geben
vermag.

Aber der Einfluß derMaschine greift noch tiefer. Das
Ornament beginnt, seine Rolle überhaupt auszuspielen.
Die Maschine hat uns einen neuen Schönheitsbegriff
gelehrt, den sie selbst am vollkommensten verkörpert:
es ist die Schönheit der reinen Zweckform. Die Orna-
mentfreudigkeit früherer Zeiten, die jeden Türschlüssel
und jeden Messergriff verzierte, ist uns von Grund aus
fremd geworden. Die nackte Eleganz der konstruktiven
Linie, die desSchmuckes entbehren kann, giltheutzutage,
zumal beim eigentlichen Gebrauchsgegenstand, als der
bevorzugte Ausdruck des feinen Geschmacks.

Damit haben wir auch gelernt, das Vorurteil gegen
den technischen Charakter der Maschinenarbeit zu über-
winden. Die Exaktheit und Sauberkeit der Ausführung,
welche die charakteristischen Vorzüge der von der Ma-
schine geleisteten Arbeit sind, erscheinen unserem Auge
nicht mehr als der Inbegriff unkünstlerischer Nüchtern-
heit. Wir entdecken in ihnen besondere künstlerische
Werte, die in ihrer Art ebenso berechtigt sind, wie die
eigentümlichen Reize des Handwerks: die Unebenheiten
und Ungleichmäßigkeiten der Oberfläche, womit die
menschliehe Hand der Arbeit ihren Stempel aufprägt.

Man hat eine Zeitlang gemeint, diese Art künstle-
rischer Reize um jeden Preis festhalten zu müssen. Man
hat alle Formen naiver Handwerksarbeit, die einem
primitiven Zustand der Werkzeuge entsprachen, her-
vorgeholt: Kirchentüren, die auf gotische Weise aus
verspundeten Brettern zusammengesetzt wurden, mit
unbeholfener Scbmiedeschlosserei im Stil des frühesten
Mittelalters ausgestattet u. dgl. Heute sehen wir darin
eine falsche Romantik, deren Widerspruch zu dem Geist
der modernen Arbeit um so krasser wirkt, wenn die
Handwerklichkeit selbst nur gefälscht ist: die »Hammer-
schläge« z. B. in gewalzte Eisenbänder hineingcklopft
sind. Wir haben einsehen gelernt, wie unmöglich es
ist, ein Stück vergangener Kultur auf Kosten des leben-
digen Fortschritts zurückzukaufen.

Es ist aus materiellen Gründen unmöglich; es ist aber
auch künstlerisch unhaltbar. Mit dem technischen Sieg
unserer exakten modernen Arbeitsweise hat sich auch
der Geschmack des modernen Menschen der Maschine
angepaßt. Die neue Formenwelt hat begonnen, uns die
ihr eigenen künstlerischen Werte zu offenbaren. Nicht
in der Maschinenarbeit an sich lag das Übel, sondern
in der Verquickung von Handwerksstil und Maschinen-
produktion. Der neue, der Maschine eigene Formenstil

mußte sich erst klären: alle vom Handwerk überlieferten
Elemente abstoßen, soweit sie dem Wesen der Maschine
widersprechen, oder in die der Maschine zugänglichen
rönnen umbilden, soweit sie sich dazu eigneten. So
beginnt sich ein neuer Stil zu entwickeln, den auch die
Künstler anerkennen: der Maschinenstil; es ist der
eigenste Stil unserer Zeit.

Seitdem hat die Maschine begonnen, von sich aus auf
das Handwerk zurückzuwirken. Denn schließlich gibt es
überhaupt keinen absoluten Gegensatz zwischen Maschine
und Werkzeug: auch der Hobel des Schreiners, die Dreh-
scheibe des Töpfers verwirklichen im kleinen den Begriff
der Maschine. Der Kreis, in dem wir die dem Handwerk
eigenen technischen Unvollkommenheiten als künst-
lerische Vorzüge gelten lassen, beschränkt sich damit
immer mehr auf das engste Gebiet des Kunsthandwerks,
das nicht für den Gebrauch, sondern für den künst-
lerischen Genuß arbeitet.

In dieser Umwandlung unseres ästhetischen Emp-
findens liegt ein weiterer Sieg der Maschine über das
Handwerk; aber ein Sieg, den das Handwerk nicht zu
fürchten braucht. Denn er zerstört nicht, sondern baut
auf. Hier schafft die Maschine immer mehr den
Boden, auf dem eine neue künstlerische Kultur
gedeihen kann. Prof. Karl Widmer.

Wand-Ventilator der Allgemeinen Electricitäts - Gesellschaft,
gestaltet von Peter Behrens.
 
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