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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Hillig, Hugo: Volkstümliche Dekorationsmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0062

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VOLKSTÜMLICHE DEKORATIONSMALEREI.

Um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts zweigt sich
die Dekorationsmalerei, die Stubenmalerei von heute,
oder wie man sie damals hier und da nannte, die
Architekturmalerei ab, und Bil.imalerei und Stubenmalerei laufen
nun nebeneinander her, nur noch durchKompetenzstreitigkeiten
an ihre einstige Zusammengehörigkeit erinnernd: die Bild-
maler, deren Sezession noch durch die um diese Zeit - Ende
des achtzehnten Jahrhunderts entstehenden Kunstakademien
bekräftigt wird, und dort die »Architekturmalerei«, die sich in
Süddeutschland schon mit dem aus dem Maurergewerbe hervor-
gegangenen Tünchergewerbe vereinigt, und die die typische
Stubenmalerei oder handwerkliche Dekorationsmalerei des
neunzehnten Jahrhunderts wird, nachdem sie im südwestlichen
Deutschland und in der Schweiz die Weifsbinder und die Gipser
abgezweigt oder zurückgelassen hat.

Damit ergibt sich auch der Anschlul! an die Entwicklung in
den romanischen Ländern und bis hinauf nach den Niederlanden
und nach England, wo sich die handwerksmäßige Dekorations-
malerei kaum über eine primitive Anstreicherei und eine aller-
dings hochentwickelte Lackiererei hinausgehoben hat. Bei Eng-
land ist die Ursache dieser Erscheinung darin zu suchen, dali
die frühzeitig entwickelte englische l.nikindustrie zu einer Ent-
wicklung der Anstrich- und Lackiertechnik gleichsam anreizte,
dann aber auch, daß die Wohnungskultur dort eine sehr viel
andere ist als in Deutschland. Und was die größeren Aufgaben
angeht, die über das Mali kleinbürgerlicher Wohnungskultur

und Wohnungsästhetik hinausreichen, so war eben in Frank-
reich die Trennung der Staffeleiinulerei und der angewandten,
der dekorativen Malerei nie in dem Maße zu verzeichnen wie
in Deutschland, von einigen Ausnahmen freilich auch hier ab-
gesehen, denn Schwind und Preller, Rethel und Kehren usw.
könnten wohl als Beispiele des Gegenteils angeführt werden.

Aber dennoch waren Schwind und Preller Ausnahmen. Das
Deutschland vor 1870 und das Deutschland nach diesem Jahre
sind fast zweierlei. Auf die handwerksmäßige Dekorations-
malerei angewendet, heißt das: obwohl sieh die sogenannte
hohe Kunst separiert hatte, als freie Kunst galt, und obwohl sich
die Stubenmalerei wirtschaftlich verzünlllerte in Innungen, die
kaum das geringe Leben wert waren, das sie bewegte, so lebte
doch noch immer in der Stubenmalerei etwas wie ein Ahnen-
stolz, ein verblaßter Traum freilich, eine vage Erinnerung an
die Zeit vor der Trennung; die Dekorationsmaler fühlten sich
als verkannte Genies, denen nur die Ungunst der Verhältnisse es
verwehre, auf den Stufen der Kunst emporzusteigen - die Deko-
rationsmaler jener Zeit waren vollgepfropft mit schwülstigen
Idealen. Dazu trug gewiß nicht wenig bei die oft sehr prekäre
Lage der Stubenmaler jener Zeit. Der Beruf war nicht überfüllt,
nährte aber doch nur selten seinen Mann.

Anders aber die Zeit nach 1870. Die Großstädte begannen,
sich zu entwickeln, die kleinen Städte vergrößerten sich und
wuchsen, wie auch die Großstädte, mit ihren Vororten zu-
sammen; das gab eine lebhafte Bautätigkeit, und das Maler-
gewerbe stand in jenen Jahren wie unter Treibhauswärme. Es
entwickelte sich zahlenmäßig außerordentlich rasch, wurde zu
einem ausgesprochenen Baugewerbe, und es ward selbstver-
ständlich, da es seine einstigen Ideale nicht aulgegeben hatte,

sie vielmehr im Oedränge wieder mit aufleben ließ, auch in den
Strudel der babylonischen Stilverwirrung hineingezogen.

Und als es aus dieser Verwirrung zu sich kam, da war der
Zeiger der Entwicklung ein gutes Stück vorwärts gegangen.
Die Separatisten von ehedem, die Bildmaler, hatten begriffen,

daß die abstrakte Bildmalerei nicht weiter zu treiben sei, daß
sich ihrer die Überproduktion in erschrecklichstem Maße be-
mächtigt habe - das Künstlerproletariat sah trüb auf die
Dekorationsmaler, die bei praktischen Aufgaben Geld ver-
dienten, und es bedurfte nur des Anstoßes, den die japanische
Kunst gab, um diese jungen, akademisch gebildeten Kräfte nach
den praktischen Aufgaben greifen zu lassen, die sie vorher den
Dekorationsmalern, den Malermeistern gern überlassen hatten,
weil es nach ihrer Ansicht unter ihrer Würde war, Stuben-
maierei zu treiben. Und es war auch die höchste Zeit, daß
diese Invasion künstlerischer Kräfte kam: die handwerksmäßige
Dekorationsmalerei hatte sich in ihrer Dekorationstechnik so
lestgefahren, sie war in den Kunstgewerbeschulen und in ihren
eigenen Fachschulen so verbildet, daß es für sie keine Entwick-
lung mehr gab. Und ohne frisches Zugreifen und Überbord-
werfen des gedankenlos Angelern'en konnte sie nicht umkehren
und einen neuen Weg einschlagen. Der Bildungsgrad der hand-
werksmäßigen Dekorationsmaler genügte auch kaum, um zu
begreifen, was in der Luft lag, und so hatten wirklich die künst-
lerischen Kräfte schon halb gewonnen, als sich die Malermeister
in ihren Fachblättern noch gegen den »neuen Stil« wehrten und
gegen die modernen Geschmacklosigkeiten ankämpften. Sie
taten das nicht etwa aus der Perspektive, aus der man heute
den Jugendstil verurteilt — sie verteidigten ihre alten Dekora-
tionsrezepte und meinten, die müßten bis ans Ende der Welt
ausreichen. Dieser Kampf ist erst in letzter Zeit einigermaßen
zum Abschluß gekommen.

Nun kann sich ein zahlenmäßig sehr entwickeltes Gewerbe
nicht mit einem Schlage anderen Verhältnissen anpassen, neuen
Dekorationsbedingungen, die die moderne Bauweise autstellt,
anschmiegen. Der Widerstand war also weniger daran schuld,
daß die Malermeister nicht gleich mit der Moderne gehen
wollten, als das Unvermögen. Was man nicht will, das kann
man am Ende auch nicht. Und so ist in der Dekorationsmalerei
jene Periode zu erklären, die erst in der allerletzten Zeit auf-
zuhören scheint: die Periode der weiljen Innenarchitektur ohne
jede verzierende Malerei, außer etwa einigen künstlerischen
oder doch wenigstens künstlerisch sein sollenden dekorativen
Wandgemälden.

Die Maler haben diese Periode mit scheelen Augen ange-
sehen, und das ist leicht zu begreifen. Aber wenn sie diese
Periode überblicken wollten als eine gewissermaßen historische
Notwendigkeit, als eine unausbleibliche Reaktion auf die ort
sein1 miserable Vielmalerei der vorhergehenden Zeit, so sollten
sie sogar begrüßen, daß diese Periode der sogenannten Weiß-
inunie gekommen ist. Durch sie wurden die Maler nicht nur
befreit von der Geißel, für trostlos gesunkene Preise unglaublich
viel malen zu müssen — und es lag also darin auch eine sozial-
politische Konsequenz —, sondern diese Periode gab den
Dekorationsmalern auch Zeit zum Verschnaufen, zur Klärung
und zum Kräftesamineln. Beide Momente, sowohl das sozial-
politische, das sich in einer Gesundung der Lohnverhältnisse
hätte äußern können (denn mit einer schlechtentlohnten
Arbeiterschart kann kein Gewerbe sich intellektuell und gar
noch kunstgewerblich entwickeln), als auch das Moment der
Ruhe sind allerdings kaum richtig ausgenützt worden, wenigstens
nicht so, wie es möglich und notwendig gewesen wäre. Und nun
verlangt kaum die Innendekoration wieder etwas Farbe, etwas
verzierende, gliedernde, ornamentale Malerei, so ist auch wieder
das große Heer der Vampyre des Malergewerbes auf der Stelle:
die Schablonen- und die Pausenfabriken und die Privatfach-
 
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