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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Gross, Karl: Gestaltungsunterricht und Volkserziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0070

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WETTBEWERBE DES DRESDENER KUNSTGEWERBEVEREINS

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Einfache Allargeräle in Silber zum Preise von 500 M. (Handarbeit)

Entwurf; K. Oroli; Ausführung;: Goldschmied Heinze-Drcsden

a Bei der Kongreßausstellung in London (111. Internat. Kongreß für Zeichen- und Kunstunterricht) gab

vor allem die französische Abteilung zu denken, nicht weil sie so gut war, sondern weil sie gar so
minderwertig war. Was hier die Volks- und Mittelschulen an Zeichen- und Handfertigkeitsunterricht aufzu-
weisen hatten, war unglaublich oberflächlich und geschmacklos. Der Zeichenunterricht strebte dabei der hohen
Kunst zu, Kopien nach antiken Köpfen und Statuen, Draperien, Stilleben usw. waren in einer Art und Weise
mißhandelt, meist mittels Kohle, daß einem die Zeit für diesen ziellosen Unterricht leid tun konnte. n

□ Nun sagt man sich aber: Und trotz dieses schlechten allgemeinen Unterrichtes ist Frankreich das Land

der hohen Kunst, der charaktervollsten, frischesten Künstler, die alle Kulturländer beeinflussen! □

D Das Rätsel ist nur durch die Erkenntnis zu lösen, daß für die hohe Kunst der Zeichenunterricht an

den allgemeinbildenden Schulen gar nicht in Betracht kommt, daß sie sich ganz unabhängig davon entwickelt.
o Wenn man mit ihm zu früh nach der hohen Kunst zielt, verwirrt man die fugend zu leicht, statt sie

innerlich zu festigen. Denn die rechte Empfindung für Kunst setzt erst einen gefestigten guten Geschmack
voraus ein sicheres Empfinden im Kleinen, Alltäglichen, das sich dann je nach Veranlagung entwickeln kann,
a Was schwärmt heute nicht alles für »Kunst«, es gehört ja zum guten Ton; im heimischen Kunst-

verein sowohl, wie auf der Reise mit dem Bädeker als »Kunstratgeber«. Man lügt sich gegenseitig eine
Kunstbegeisterung vor und läßt im täglichen Leben jeden guten Geschmack vermissen! □

o Glaubt man denn, daß wirkliches Kunstempfinden ohne die Grundlage des guten Geschmackes, des

selbständigen Empfindens im Kleinen möglich ist? n

° Wie verhält sich aber nun der schlechte Zeichenunterricht zu dem anerkannten guten Geschmack der

Franzosen? Auch hierin besteht kein Zusammenhang. Der französische Geschmack beruht auf Überlieferung
und hängt in gewerblicher und kunstgewerblicher Beziehung an der Nachahmung einiger Stilepochen, welche
in der Praxis und in den Fachschulen verständnisvoll und sorgfältig gelehrt wird. □

n Der auf der Londoner Ausstellung vorgeführte Zeichenunterricht kann auch hieran unmöglich einen

Anteil haben. °

o Also brauchen wir an den allgemein bildenden Schulen überhaupt keinen Zeichenunterricht, wäre nun

die logische Schlußfolgerung. Doch langsam, jetzt kommt noch eine andere Beobachtung, welche wir an den
Franzosen machen können und welche sehr, sehr lehrreich ist:

Bei dem Bestreben — das zurzeit durch alle Kulturvölker geht — den guten Geschmack nicht nur
in der Nachahmung alter Werke zu beweisen, sondern hierin auch selbstschöpferisch im Geiste unserer
Zeit zu sein, versagt die französische Erziehung! Schwach und haltlos sind diese Versuche in der Praxis
und in den höheren Fachschulen. — Woher kommt das? „

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