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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Hellwag, Fritz: Die Pforzheimer Schmuck-Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0089

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DIE PFORZHEIMER SCHMUCK-INDUSTRIE







Theodor Fahrner

Silberschmuck

An diesem kleinen Beispiel sollte gezeigt werden,
wie die Schmuckindustrie, trotzdem sie ein Roh-
material des stabilsten Wertes verarbeitet, doch
auch den internationalen Schwankungen der wirt-
schaftlichen Krisen ausgesetzt ist, die ihre Existenz
ernstlich bedrohen könnten. Andererseits ist sie
aber bedeutend glücklicher daran, als andere
Industrien, denn sie besitzt ein Heer geschulter
Arbeiter, das trotz seiner ungeheueren Größe —
die Pforzheimer Goldindustrie beschäftigt in 1000
Betrieben nahezu 30000 Menschen — einen seß-
haften Charakter beibehalten hat. Hierin liegt nicht
zum wenigsten das Geheimnis der bedeutenden
Leistungsfähigkeit und des ruhigen wirtschaftlichen
Erfolges der Pforzheimer. Es erklärt sich aus dem
rapiden Anwachsen der durch maschinelle Erfin-
dungen und die Nutzbarmachung der Elektrizität
wesentlich erleichterten Doublewarenfabrikation, die
beinahe plötzlich sehr zahlreiche Arbeitskräfte ge-
brauchte und nach und nach — natürlich ebenso
das Goldschmiedehandwerk! - die Bevölkerung
von 120 umliegenden Dörfern wirtschaftlich eng
an sich zog. 17000 Arbeiter kommen täglich
von auswärts zur Arbeit in die Pforzheimer Fa-
briken und verlassen die Stadt am Abend wieder.
Diese Arbeiter haben ihren bäuerlichen Betrieb
daheim nicht aufgegeben, sie besitzen Grund und
Boden, den sie in flaueren Geschäftszeiten selbst
bestellen können. Sie sind also keine Zugvögel,
wie andere Fabrikarbeiter; ihr Verwachsensein mit
der Scholle erleichterte den Fabrikanten die An-
knüpfung traditioneller Beziehungen zu ihnen, wo-
durch in einzelnen Dörfern und Fabriken wahre
Arbeiterdynastien entstehen konnten — mit zum
Wohle der unerhört schnell aufblühenden und zur
Beherrschung des Weltmarktes gelangenden Pforz-
heimer Schmuckindustrie. °

Als Frankreich vor vierzig Jahren an den Folgen
des unglücklichen Krieges darniederlag, wurde
dieser Hauptkonkurrent in schnellem Tempo über-
flügelt. Nicht nur mit billigen Qoldwaren wurden
die Franzosen aus dem Felde geschlagen, sondern
auch mit kostbaren Geschmeiden jeder Art. Als
kürzlich ein bekannter Kunstschriftsteller behaup-
tete, der wirklich wertvolle Schmuck käme nach
wie vor aus Frankreich, da wurde er schnell öffent-
lich belehrt, daß die Erzeugnisse einer großen
Anzahl Pforzheimer Fabrikanten bei allen bedeu-
tenden Juwelieren und Händlern fast auf der ganzen
Welt wiederzufinden seien, allerdings mit der Ein-
schränkung, daß diese Ware dann nicht mehr als
Pforzheimer Erzeugnis figuriere, sondern als fran-
zösisches oder englisches Fabrikat verkauft werde.
In der Summe von 135 Millionen Mark, mit der
die Jahresproduktion bei einem Geldverkehr von
550 Millionen richtig eingeschätzt wird, nimmt
speziell die bessere Bijouterie, also die echte Gold-
ware, im Werte einen weit größeren Raum ein,
als die Doubleproduktion. „

Die Pforzheimer Schmuckindustrie mußte, in der
letzten Zeit besonders, manche Kritik ihrer künst-
 
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