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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Hellwag, Fritz: Die Pforzheimer Schmuck-Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0091

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DIE PFORZHEIMER SCHMUCK-INDUSTRIE







lerischen Qualität über sich ergehen lassen. Die meisten Kritiker
berücksichtigten nicht, daß Pforzheim als Lieferant für aller Herren
Länder in allen Geschmacksarten und -Stilen arbeiten muß, um als
wirtschaftlicher Faktor seine Bedeutung, d. h. seine Absatzquellen
sich zu erhalten. Es ist auch immer besser, ein Kapital von
361j., Millionen Mark (1905) wird in Deutschland versteuert, als
in Frankreich. Daß bei dieser enormen Vielseitigkeit der künst-
lerische Gleichwert der Gesamtproduktion leiden muß, ist zweifellos
richtig. Daß die Pforzheimer Goldschmiede und Fabrikanten aber
dennoch dem künstlerischen Fortschrift im deutschen Heimatlande
gut zu folgen vermögen, beweisen manche der im vorliegenden
Hefte abgebildeten Arbeiten. Die durch eine fabelhafte Vielseitig-
keit der Produktion notwendige fieberhafte Tätigkeit der vielen
hundert Musterzeichner bewirkt hier und da wohl einmal das Über-
wiegen eines »papiernen« Stils, doch berechtigt diese Erscheinung
keineswegs zu einem generellen Rückschluß auf den »Niedergang«
der Pforzheimer Goldschmiedekunst! Sind doch auch die Oold-
schmiedescliule unter Rücklin und die Kunstgewerbeschule unter
Waag jederzeit tapfer auf dem Plane, die Fähigkeit des Schaffens
und Erfindens im Materiale selbst in dem hoffnungsvollen Nach-
wuchs zu pflegen - - eifrig unterstützt von dem nahezu 2000 Mit-
glieder zählenden Pforzheimer Kunstgewerbeverein. o

Oft wiederholte öffentliche Wettbewerbe für Goldschmiede, für
deren Durchführung und Dotierung recht erhebliche Stiftungen ge-
macht wurden, gaben den Teilnehmern Gelegenheit, sich in wohl-
durchdachter Komposition und selbständiger Ausführung zu üben.
Es ist schon zuweilen vorgekommen, daß besonders hervorragende
Ergebnisse dieser Wettbewerbe die ganze Pforzheimer Produktion
auf einige Zeit beeinflußt haben. Das Gute wird also geschätzt,
wo man es findet, und es mag auch für Pforzheim zutreffen, was
R. Rücklin - Pforzheim kürzlich in der »Deutschen Goldschmiede-
zeitung« von den Münchener Goldschmieden sagte: »Wer in der
erfreulichen Lage ist, sich als Techniker, Geschäftsmann und
Künstler fühlen zu können, der verzichtet auf die Mitarbeit des
Berufskünstlers. Wer einsieht, daß er zwar als Techniker und Ge-
schäftsmann seinen Mann stellt, als aktiver Künstler aber resignieren
muß, der sichert sich die Mitwirkung eines ihm geeignet er-
scheinenden Künstlers.« o

Daß in technischer Hinsicht von einer Verschlechterung geredet
werden könnte, stellte Wilhelm Stöffler kürzlich in einer scharfen
Entgegnung dem vorerwähnten Niedergangs-Propheten in Abrede.
Er schrieb: »Noch zu keiner Zeit hat man in den einfachsten Linien-
führungen, mit Brillanten und Carre vif, in Platin und Millgriff so
vorzüglich gearbeitet, wie in der Gegenwart. Nicht vom Rückgang,

Theodor Fahrner, Silberschmuck



Levinger & Bissinger, Silberschmuck

nein, vom Fortschritt muß die Rede sein, wenn man sich erinnert, daß die Zeit gar noch nicht so weit
hinter uns liegt, da die großen 2—6 Greainer großprotzig, einfach auf einen Messingdraht gesetzt wurden
und daneben feinere Arbeit nicht aufkommen konnte.« °

Über die Ausbildung der Arbeitskräfte ist zu sagen, daß die Einstellung sogenannter ungelernter Arbeiter,
im Gegensatz zu anderen Fabrikbetrieben mit ähnlich durchgebildeter Spezialisierung der einzelnen Leistungen,
ausgeschlossen ist, daß aber dagegen die Zahl der Lernenden sehr hoch erscheint; fast ein Viertel der
Arbeiterschaft besteht in Pforzheim aus Lehrlingen. Die Poliererinnen lernen drei Jahre, die Presser und
Kettenmacherinnen vier Jahre und die eigentlichen Gold- und Silberarbeiter und die Graveure fünf Jahre!
Diese besuchen allgemein während ihrer Lehrzeit die Goldschmiedeschule, die Begabteren die Kunstgewerbe-
schule. Für die Aufnahme in die letztere verlangt man den Nachweis derjenigen Kenntnisse und Fertig-
keit, die auf einer zweiklassigen Gewerbeschule erworben werden. In der Tat sind auch kunstgewerbliches
Verständnis und kunstgewerbliche Technik bei den besseren Arbeitern recht ordentlich vorhanden. Anders
wäre die geübte Arbeitsmethode auch nicht zu ermöglichen: das eigentliche Entwerfen geschieht in den
 
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