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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

DOI Artikel:
Migge, Leberecht: Kunstgewerbe-Gartenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0169

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KUNSTGEWERBE-GARTENKUNST







Lebereclit Migge-Hamburg

frommen, der, wie der landschaftliche, in der Haupt-
sache zum Anschauen dient. Fragen wir nun folge-
richtig, wie wir denn einen solchen tektonischen
Garten einrichten, welche Funktionen seinen Formen
unterlegt werden sollen, so haben wir nur die Ge-
bräuche festzustellen, deren Pflege der Hausgarten
seinem wahren Wesen nach voraussetzt und begehrt.
Und die sind kurz zusammengefaßt: In gesunder Luft,
im Freien unter Pflanzen wohnen. »Bewohnen« in
der ganzen Weite dieses Begriffes, das ist's, im Gegen-
satz zu dem in unsern Gärten bisher nur möglichen
»Beschauen«. Wohnen, in welcher Form auch immer,
ist aber ohne eine gewisse Abgeschlossenheit, ohne
also hier ein bewußt räumliches Ausbilden des Gartens
und seiner Teile nicht denkbar. Und ein Garten-
raum hinwiederum muß logisch architektonische
Formgebung zeigen. So findet der neue Garten in
einer ausgesprochen räumlichen Betonung in tektoni-
scher Art seine Wesensverwandtschaft mit Haus und
allem Geräte.

Aber auch der unmittelbaren Beziehungen von
Gartenkunst und Kunstgewerbe sind nicht wenige,
schon heute, und werden künftig noch viel reich-
haltiger sein. Denn alles, was zur architektonischen
Gartenausstattung im engeren Sinne, wie Sitzmöbel,
Lauben und Laubengänge, Gärtenhäuser, Brücken,
Zäune, Erzeugnisse der Kleinkunst usw. gerechnet zu
werden pflegt, korrespondiert im Grunde weit besser
mit dem Arbeitsgebiet des Kunstgewerblers: des Innen-
künstlers, als mit dem des Architekten. Jenes gewisse
Schmückende, Heimatliche, bei aller Kraft doch mehr
Freundliche im Wesen, das der konstruktiven Kunst
des Baumeisters ferner steht, können diese Gestaltungen
auf die Dauer nicht gut entbehren. Es scheint sicher,
daß dem Kunstgewerbe in der modernen Garten-
kunst ein wachsendes Betätigungsfeld in Aussicht steht.

All das sollte nun doch eigentlich auf ein natür-
liches, freundschaftliches Verhältnis dieser beiden Be-
rufe hindeuten. Man sollte meinen, daß sie schon
längst den Wert ihrer vielseitigen Wechselbeziehungen
erkannt und ausgenutzt hätten. Weit gefehlt. Was
jedenfalls die Gartenleute anbetrifft, so hat einem Teil

von ihnen erst die allerletzte Zeit die Einsicht ge-
bracht, daß sie ihren Kardinalfehler, die durch Gene-
rationen geführte kastenmäßige Abschließung von
allen Künsten, diese lebensabholde, entnervende In-
zucht aufgeben müssen, wenn sie erfolgreich mittun
wollen in den Bestrebungen der Gegenwart. Diese
erfreuliche Gesinnungswandlung bekam praktischen
Ausdruck in einem kürzlich gefaßten Beschluß der
»Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst«, der die
künstlerische Ausbildung des Gartenkünstlers auf
unsern Kunstgewerbeschulen und demgemäß An-
gliederung von Klassen für Gartenkunst auf den staat-
lichen Schulen fordert. Mit dieser Entscheidung, die
kaum anerkannt, bezeichnenderweise schon wieder
von den Fachleuten selbst auf das heftigste bekämpft
wird, scheint mir ein Schritt getan, der für die ge-
sunde Entwicklung der Gartenkunst von markanter
Bedeutung sein wird, und den zu tun es für sie
höchste Zeit war. Hier auf der Kunstgewerbeschule
als der Stätte, die Künstler und Kunsthandwerker der
verschiedensten Gattungen vereinigt, aus der jetzt
schon eine ganze Reihe bedeutender Gestalter hervor-
gegangen sind, wird es den jungen Gartenbeflissenen
leicht, ja überhaupt nur hier möglich sein, jenen Ein-
blick in das Geschehen aller Kunst zu gewinnen,
dessen gänzlicher Mangel jene Hemmungen und Miß-
verständnisse, das Niveau unserer heutigen Garten-
kunst überhaupt erst erklärt.

Und vor den Ergebnissen, die diese zeitgemäße
Angliederung, verwirklicht, sehr bald zeitigen wird,
werden dann hoffentlich jene wahnwitzig-gedanken-
losen Hochschulbestrebungen einer lauten einfluß-
reichen Gruppe von Gartenkünstlern ihr sehr deko-
ratives Begräbnis finden. Welcher vernünftige Archi-
tekt glaubt beispielsweise heute noch an die Segnungen
der technischen Hochschule für die künstlerische Ent-
wicklung seines Berufes! So fremd es klingen mag:

Lebereclit Migge-Hamburg
 
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