KUNSTGEWERBE-GARTENKUNST
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lieh, wo stehe ich, vollzieht sich deutlich vor aller Welt,
selbst da, wo man es nicht für möglich hielt. Die tech-
nisch-industriellen Beamten, die Schauspieler und Schau-
spielerinnen, die Lehrer, die Ärzte, ja sogar leibhaftige
Staatsbeamte, wie die Richter zeigen, daß sie sich um die
Erkenntnis bemühen, wo sie in der sozialen Schichtung
zu stehen haben. Bei den Künstlern, die für das Kunst-
gewerbe arbeiten, steht die Erkenntnis noch an der Pforte,
aber der Zusammenstoß auf der III. Deutschen Kunst-
gewerbe-Ausstellung 1906 war wohl schon ein Präludium.
Es wird bald oder spät das Wort fallen von den beiden
Nationen, die sich auch in diesen Berufen gegenüber
stehen, aber es mag fallen. Und wird weiter nichts sein,
als die Anerkennung einer unbestreitbaren Tatsache, die
seit langem latent vorhanden gewesen ist. D
o Die moderne kunstgewerbliche Bewegung muß man
auch von dieser Seite zu betrachten wagen. Sie war und
ist nicht nur ein Kulturkampf, sondern auch eine Äußerung
industrieller Expansion. Hinter den Erfolgen der kunst-
gewerblichen Bewegung steht der Kapitalismus, sowohl
als Produzent, als auch als Konsument. Die Erfolge des
deutschen Kunstgewerbes auf der Weltausstellung in
St. Louis, die befruchtenden und merkantil fruchtbaren
Wirkungen der deutschen Kunstgewerbe-Ausstellungen in
den letzten Jahren lassen gar keine andere Erklärung zu.
a Das moderne Kunstgewerbe muß in allen seinen Ver-
zweigungen Warenproduktion betreiben und sein Umsatz
ist zum allergrößten Teil der persönlichen Beziehungen
zwischen Produzent und Konsument ledig. Und noch viel
weiter klafft die Kluft zwischen dem Konsumenten und
dem Produzenten letzten Endes, dem Arbeiter; zwischen
beiden steht der Industrielle und sein kaufmännischer An-
gestellter, in den meisten Fällen sogar noch der Zwischen-
händler mit seinen Angestellten. °
□ Und außerdem: wie die kunstgewerbliche Produktion
industrielle Warenproduktion ist, wie die Industrie sich
auch des modernen Kunstgewerbes bemächtigt hat, so hat
sie ihr Produktionsprinzip natürlich auch mit in die kunst-
gewerbliche Arbeit verpflanzt: ihren rationellsten Prozeß,
die Arbeitsteilung. Die bis zum Äußersten gehende Ar-
beitsteilung zerfasert die kunstgewerbliche Erzeugung in
vielerlei in sich mechanisch einfache Arbeitsvorgänge und
wo es dann einmal soweit gekommen ist, da steht auch
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Leberecht Mlgge^I [amburg
schon die Maschine, der eiserne Kollege des Arbeiters in
den kunstgewerblichen Industrien bereit. In der süddeut-
schen Metallwarenindustrie waren für 30 neu herausge-
kommene Besteckmuster Maschinenanschaffungen im Werte
von 120- 150000 Mark nötig; das kann nur in der raffi-
niertesten industriellen und großkapitalistischen Produktions-
weise geschehen. Und weil das nur auf diese Weise mög-
lich ist (und nicht nur in dieser einen Branche), so beweist
sich wiederum, daß immer mehr das Verhältnis des Kunst-
gewerbe-Gehilfen zum Kunstgewerbe das eines industriellen
Lohnarbeiters werden wird, der mit seinen arbeitsfähigen
Händen oder mit seinem erfinderischen Kopfe angenommen
und In das kaufmännische Kalkül einbezogen wird. □
d So kommt es, daß die kunstgewerbliche Prosperität
der letzten Jahre gar nicht bis zu der kunstgewerblichen
Arbeiterschaft gelangt ist. So kommt es, daß die einst-
mals stark kunstgewerblich potenzierten Berufe, die der
Tischler, der Drechsler, der Holzbildhauer, der Portefeuiller,
der Gürtler, der Metallarbeiter in weiterem Sinne, der
Druckereiarbeiter, der graphischen Berufe, und zuletzt der
Zeichner fast unberührt in ihrer sozialen Lage davon ge-
blieben sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den
weitaus meisten Fällen sind sie nicht imstande, Kon-
sumenten der Waren zu sein, die sie erzeugen. Darin
liegt ein sozialpsychologisches Moment von tiefster Be-
deutung. Hugo Hillig.
(Fortsetzung folgt.)
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lieh, wo stehe ich, vollzieht sich deutlich vor aller Welt,
selbst da, wo man es nicht für möglich hielt. Die tech-
nisch-industriellen Beamten, die Schauspieler und Schau-
spielerinnen, die Lehrer, die Ärzte, ja sogar leibhaftige
Staatsbeamte, wie die Richter zeigen, daß sie sich um die
Erkenntnis bemühen, wo sie in der sozialen Schichtung
zu stehen haben. Bei den Künstlern, die für das Kunst-
gewerbe arbeiten, steht die Erkenntnis noch an der Pforte,
aber der Zusammenstoß auf der III. Deutschen Kunst-
gewerbe-Ausstellung 1906 war wohl schon ein Präludium.
Es wird bald oder spät das Wort fallen von den beiden
Nationen, die sich auch in diesen Berufen gegenüber
stehen, aber es mag fallen. Und wird weiter nichts sein,
als die Anerkennung einer unbestreitbaren Tatsache, die
seit langem latent vorhanden gewesen ist. D
o Die moderne kunstgewerbliche Bewegung muß man
auch von dieser Seite zu betrachten wagen. Sie war und
ist nicht nur ein Kulturkampf, sondern auch eine Äußerung
industrieller Expansion. Hinter den Erfolgen der kunst-
gewerblichen Bewegung steht der Kapitalismus, sowohl
als Produzent, als auch als Konsument. Die Erfolge des
deutschen Kunstgewerbes auf der Weltausstellung in
St. Louis, die befruchtenden und merkantil fruchtbaren
Wirkungen der deutschen Kunstgewerbe-Ausstellungen in
den letzten Jahren lassen gar keine andere Erklärung zu.
a Das moderne Kunstgewerbe muß in allen seinen Ver-
zweigungen Warenproduktion betreiben und sein Umsatz
ist zum allergrößten Teil der persönlichen Beziehungen
zwischen Produzent und Konsument ledig. Und noch viel
weiter klafft die Kluft zwischen dem Konsumenten und
dem Produzenten letzten Endes, dem Arbeiter; zwischen
beiden steht der Industrielle und sein kaufmännischer An-
gestellter, in den meisten Fällen sogar noch der Zwischen-
händler mit seinen Angestellten. °
□ Und außerdem: wie die kunstgewerbliche Produktion
industrielle Warenproduktion ist, wie die Industrie sich
auch des modernen Kunstgewerbes bemächtigt hat, so hat
sie ihr Produktionsprinzip natürlich auch mit in die kunst-
gewerbliche Arbeit verpflanzt: ihren rationellsten Prozeß,
die Arbeitsteilung. Die bis zum Äußersten gehende Ar-
beitsteilung zerfasert die kunstgewerbliche Erzeugung in
vielerlei in sich mechanisch einfache Arbeitsvorgänge und
wo es dann einmal soweit gekommen ist, da steht auch
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Leberecht Mlgge^I [amburg
schon die Maschine, der eiserne Kollege des Arbeiters in
den kunstgewerblichen Industrien bereit. In der süddeut-
schen Metallwarenindustrie waren für 30 neu herausge-
kommene Besteckmuster Maschinenanschaffungen im Werte
von 120- 150000 Mark nötig; das kann nur in der raffi-
niertesten industriellen und großkapitalistischen Produktions-
weise geschehen. Und weil das nur auf diese Weise mög-
lich ist (und nicht nur in dieser einen Branche), so beweist
sich wiederum, daß immer mehr das Verhältnis des Kunst-
gewerbe-Gehilfen zum Kunstgewerbe das eines industriellen
Lohnarbeiters werden wird, der mit seinen arbeitsfähigen
Händen oder mit seinem erfinderischen Kopfe angenommen
und In das kaufmännische Kalkül einbezogen wird. □
d So kommt es, daß die kunstgewerbliche Prosperität
der letzten Jahre gar nicht bis zu der kunstgewerblichen
Arbeiterschaft gelangt ist. So kommt es, daß die einst-
mals stark kunstgewerblich potenzierten Berufe, die der
Tischler, der Drechsler, der Holzbildhauer, der Portefeuiller,
der Gürtler, der Metallarbeiter in weiterem Sinne, der
Druckereiarbeiter, der graphischen Berufe, und zuletzt der
Zeichner fast unberührt in ihrer sozialen Lage davon ge-
blieben sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den
weitaus meisten Fällen sind sie nicht imstande, Kon-
sumenten der Waren zu sein, die sie erzeugen. Darin
liegt ein sozialpsychologisches Moment von tiefster Be-
deutung. Hugo Hillig.
(Fortsetzung folgt.)