Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

DOI Artikel:
Hillig, Hugo: Der kunstgewerbliche Arbeiter, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0235

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
228



ALTE ENGLISCHE MÖBEL







Queen Anne, Polaterbank, Lackarbeit.

(Aus Möbel und Raumkunst In England von if>8<>

plastisch zu bearbeiten, bedeutete nicht nur eine Ablösung
der Handarbeit, sondern auch eine Steigerung des Arbeits-
quantum». Und diese wiederum bedeutete eine Verbilllgung
der Produktion, wenn sie rationell betrieben wurde. Für
die rationelle Produktion, für die Sicherung und für die
Steigerung des Absatzes hatte der Kapitalismus aber schon
gesorgt und es war ihm nun ein leichtes, diese Bildhauer-
maschinen einzustellen, die Bildhauer überflüssig machten,
sie auf die Straße jagten. Wer anders als der kapitalistische
Produzent hätte diese Maschinen auch anschaffen können,
denn sie kosteten viele Tausende von Mark. War der
Bildhauer vorher schon Fabrikarbeiter geworden, war seine
wirtschaftliche Selbständigkeit durch die vorhergehende
industrielle Entwicklung an den Abgrund gebracht, so
mußte er jetzt endgültig die Hoffnung aufgeben, jemals
wieder der Konkurrenz der Fabrik zu entrinnen. o

a Das alles spielte sich schon in seinen Anfängen ab,
ehe jene große und umfassende Umwälzung eintrat, die
mit der Stiltradition brach und die der Möbelfabrikation
so arg an den Wagen fuhr. Und je weiter die Kluft
winde zwischen den modernen kunstgewerblichen Wegen
und dein alten üleise der Stilmeierei, desto mehr mußte
gerade der Bildhauerberuf spüren, wie schwer eine solche
Umwälzung wirtschaftlich auf dem Arbeiter letzten Endes
lastet. Alles ist einfach und glatt, nicht Sehnitzwerk oder
Vergoldung will man mehr und es kostet das fremde Holz
jel/t am meisten. Dieses Wort, das Goethe in Hermann
und Dorothea seinen Apotheker sagen läßt, in der Zeit
etwa am Lude des IS. Jahrhunderts — das ist heute wieder
ganz zeitgemäß geworden! Aber was damals, vor hundert
Jahren, schon tiefe wirtschaftliche Wirkungen haben konnte
- man denke an die Katastrophen in der l'orzellan-
iudustrie , das mußte sich jetzt erst recht als Depression
zeigen, in einer Zeit, in der die kunstgewerblichen Berufe,

Im Besitze von Lady Wolseley.
1800 . Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart)

wie der des Bildhauers, verhältnismäßig groß geworden
sind und ungleich mehr Berufsangehörige zählen, als sie
vor hundert Jahren gehabt haben können. o

o Und tatsächlich gibt es keinen anderen Beruf, auf dem
diese Folgen einer zweifachen Entwicklung, der kunstge-
werblichen wie der techniseh-industricll-kapitalistischen so
schwer lasten, wie gerade auf dem Beruf des Bildhauers.
Namentlich auf dem Beruf des Holzbildhauers. Auf den
Steinbildhauer treffen diese Darlegungen in der Haupt-
sache ebenfalls zu. Der Bildhauerberuf hat genau den
gleichen Dornenweg zu beschreiten gehabt, wie der Beruf
des Holzdrechslers, des Drechlers überhaupt. Dieser Beruf
ist heute nahezu aufgerieben. □

□ Die Zerrüttung des Bildhauerbcnifes zeigt sich wirt-
schaftlich in den schwersten Formen, die sich denken
lassen: in dauernder Arbeitslosigkeit und in einer hoch-
prozentigen Berufsflucht. Wir wollen diese Verhältnisse
in einigen Zahlen kennen lernen. □

a Nach der vom Kaiserlichen Statistischen Amt aufge-
nommenen Statistik, im Reichsarbeitsblatt veröffentlicht,
waren von hundert Bildhauergehilfen arbeitslos: °



1903

1004

I0l)r)

1906

1907

1908

am 31. März



8,3

0,0

10,0

11,9

14,2

am 30. Juni

8,0

6,3

8,7

6,8

10,0

14,1

am 30. September

7,0

7,4

10,4

7,7

10,2

13,1

am 31. Dezember

15,4

10,1

12,6

15,4

18,8

24,9

Jahresdurchschnitt
bei den Bildhauern:

10,4

9,5

10,1

9,9

12,7

16,6

bei anderen Berufen:

2,7

2,0

1,5

1,2

1,6


 
Annotationen