NEUE WOHNRÄUME VON BRUNO PAUL
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streng wissenschaftlich gefaßt scheine; Volkskunst werde
auch heute noch in Rußland, in nordischen Ländern und
anderswo angetroffen. °
o Herr Lademann-Berlin wies auf die Frauenarbeit hin
(mit Recht; es gibt wirklich noch Frauen, welche stricken,
häkeln und sonstige Techniken zu ihrem Vergnügen und
zur Verschönerung ihres Heims treiben). D
n Der Antrag, den gehaltvollen Vortrag des Herrn Dr.
Wolff im Verbandsbericht zu veröffentlichen, wurde an-
genommen. °
(Schluß folgt.)
GESCHMACKSVERIRRUNGEN IM KUNST-
GEWERBE
o Im Königlichen Landesgewerbemuseum zu Stuttgart hat
dessen Direktor, Prof. Dr. GustavE. Pazaurek, eine sogenannte
Schreckenskammer eingerichtet, in der er viele kunstgewerb-
liche »Verbrechen«, nach der Art ihrer Versündigung ge-
ordnet, aufgestellt hat. Die Gegenstände tragen entweder
Materialfetiler, Konstruktionsfehler oder Dekorfehler an
sich; und nach dieser dreifachen Kriminalität teilt sich die
Sammlung in die entsprechenden drei Hauptgruppen, die
dann wieder in mancherlei Unterabteilungen zerfallen. Das
BRUNO PAUL, Schrank aus einem Schlafzimmer (ausgeführt durch die Vereinigten Werkstätten für
Kunst im Handwerk, A.-O.). Möbel in weißem Ahornholz matt poliert mit Intarsien von grau ge-
beiztem Ahornholz ; Wandbespannung aus grau mit lila bedrucktem Leinen.
Material kann schlecht und verdorben oder es kann »wunder-
lich« sein und aus Kuriositäten oder aus Pimpeleien be-
stehen. Es kann schlecht kombiniert sein, wenn z. B. eine
Holzauflage auf Metall gelegt wird, ohne Berücksichtigung
der verschiedenen Ausdehnungskoeffizienten, oder wenn
man Ölfarben auf Metall oder Keramik bringt und so weiter.
Man kann sich im Material vergreifen, indem man Spitzen-
figuren in Marmor oder Porzellan ausführt, Möbel aus Glas
oderPorzellan fertigt oder eine Ludwigsburger Porzellantasse
in Gußeisen nachbildet. Man kann den Geist der Materiale
verwechseln und dem Beschauer beschämende Über-
raschungen bereiten, wenn man Eisen in Kartonnageart
bearbeitet, so daß man sich beim Aufheben eines solchen
Gegenstandes im Gewichte absolut verrechnen muß. Und
erst die Surrogate, auf deren Entdeckung die Deutschen
eine ganze Wissenschaft eingerichtet haben! □
□ Es ist einfach Alles »echt imitiert« worden, was sich
nur denken laßt; eine Fälschungs-Epidemie hat in Deutsch-
land jahrzehntelang gewütet. Wir nehmen eine Figur aus
Biskuitporzellan zur Hand — sie ist aus Stearin; jene Fayence
besteht aus emailliertem Eisenblech; Vorsicht, diese Bronze
ist keine Bronze, sondern bronziertes Glas, jene birgt unter
der Patina den allerechtesten Zinkguß. Dies Leder ist
Papier, jenes Porzellan ist Milchglas; dieses Porzellan-
objekt wurde in emailliertem Blech
nachgebildet und erscheint zuletzt als
eckige Pappschachtel mit Zwiebel-
muster. Manche Fabrikanten konnten
ohne Surrogate nun einmal nicht leben,
wenn sie auch gegen ihr eigenes Por-
temonnaie wirtschafteten: sie bildeten
altgriechische Tonvasen in Porzellan,
geschliffene Stahlschnallen in Silber
nach — sie hätten es billiger haben
können, aber die Surrogat-Ehre mußte
gerettet werden. Die Konstruktions-
fehler verraten weniger eine über-
geschäftskluge Gesinnung als einen
unklaren Kopf und eine ungeschickte
Hand. Die Logik fehlt, man setzt
Flächenhaftes für Körperliches, berech-
netden Schwerpunkt des Gegenstandes
falsch, wählt unrichtige Dimensionen.
Die Form entspricht nicht dem Ge-
brauchszweck; man denke an den
schweifwedelnden Mops als Pendel-
uhr und ähnliches. Es wird aber
auch in demselben Material durch
eine billigere Technik die kostspieligere
und schönere Bearbeitung vorgespie-
gelt. Glas wird geätzt statt geschnitten,
gepreßt statt geschliffen; Holzschnitze-
reien bestehen aus gepreßten Säge-
spänen usw. Einen großen Raum
nimmt der reine Kitsch, der wie in
anderen Künsten meist »gesinnungs-
tüchtig« auftritt und damit trotz allen
seinen Mängeln großen Absatz erzielt,
und die Plagiate, z. B. schlechte Nach-
ahmungen der Kopenhagener Por-
zellane ein. Die DekorfeWer teilt
Pazaurek in ihren Beziehungen zur
Schmuckform und zur Farbe in Dekor-
brutalitäten , in Schmucküberladung
oder -Puritanismus ein, in sinn-
widrige Wahl der Motive, in falsch
angebrachten oder zeit- und land-
fremden Schmuck, in Dekorüber-
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streng wissenschaftlich gefaßt scheine; Volkskunst werde
auch heute noch in Rußland, in nordischen Ländern und
anderswo angetroffen. °
o Herr Lademann-Berlin wies auf die Frauenarbeit hin
(mit Recht; es gibt wirklich noch Frauen, welche stricken,
häkeln und sonstige Techniken zu ihrem Vergnügen und
zur Verschönerung ihres Heims treiben). D
n Der Antrag, den gehaltvollen Vortrag des Herrn Dr.
Wolff im Verbandsbericht zu veröffentlichen, wurde an-
genommen. °
(Schluß folgt.)
GESCHMACKSVERIRRUNGEN IM KUNST-
GEWERBE
o Im Königlichen Landesgewerbemuseum zu Stuttgart hat
dessen Direktor, Prof. Dr. GustavE. Pazaurek, eine sogenannte
Schreckenskammer eingerichtet, in der er viele kunstgewerb-
liche »Verbrechen«, nach der Art ihrer Versündigung ge-
ordnet, aufgestellt hat. Die Gegenstände tragen entweder
Materialfetiler, Konstruktionsfehler oder Dekorfehler an
sich; und nach dieser dreifachen Kriminalität teilt sich die
Sammlung in die entsprechenden drei Hauptgruppen, die
dann wieder in mancherlei Unterabteilungen zerfallen. Das
BRUNO PAUL, Schrank aus einem Schlafzimmer (ausgeführt durch die Vereinigten Werkstätten für
Kunst im Handwerk, A.-O.). Möbel in weißem Ahornholz matt poliert mit Intarsien von grau ge-
beiztem Ahornholz ; Wandbespannung aus grau mit lila bedrucktem Leinen.
Material kann schlecht und verdorben oder es kann »wunder-
lich« sein und aus Kuriositäten oder aus Pimpeleien be-
stehen. Es kann schlecht kombiniert sein, wenn z. B. eine
Holzauflage auf Metall gelegt wird, ohne Berücksichtigung
der verschiedenen Ausdehnungskoeffizienten, oder wenn
man Ölfarben auf Metall oder Keramik bringt und so weiter.
Man kann sich im Material vergreifen, indem man Spitzen-
figuren in Marmor oder Porzellan ausführt, Möbel aus Glas
oderPorzellan fertigt oder eine Ludwigsburger Porzellantasse
in Gußeisen nachbildet. Man kann den Geist der Materiale
verwechseln und dem Beschauer beschämende Über-
raschungen bereiten, wenn man Eisen in Kartonnageart
bearbeitet, so daß man sich beim Aufheben eines solchen
Gegenstandes im Gewichte absolut verrechnen muß. Und
erst die Surrogate, auf deren Entdeckung die Deutschen
eine ganze Wissenschaft eingerichtet haben! □
□ Es ist einfach Alles »echt imitiert« worden, was sich
nur denken laßt; eine Fälschungs-Epidemie hat in Deutsch-
land jahrzehntelang gewütet. Wir nehmen eine Figur aus
Biskuitporzellan zur Hand — sie ist aus Stearin; jene Fayence
besteht aus emailliertem Eisenblech; Vorsicht, diese Bronze
ist keine Bronze, sondern bronziertes Glas, jene birgt unter
der Patina den allerechtesten Zinkguß. Dies Leder ist
Papier, jenes Porzellan ist Milchglas; dieses Porzellan-
objekt wurde in emailliertem Blech
nachgebildet und erscheint zuletzt als
eckige Pappschachtel mit Zwiebel-
muster. Manche Fabrikanten konnten
ohne Surrogate nun einmal nicht leben,
wenn sie auch gegen ihr eigenes Por-
temonnaie wirtschafteten: sie bildeten
altgriechische Tonvasen in Porzellan,
geschliffene Stahlschnallen in Silber
nach — sie hätten es billiger haben
können, aber die Surrogat-Ehre mußte
gerettet werden. Die Konstruktions-
fehler verraten weniger eine über-
geschäftskluge Gesinnung als einen
unklaren Kopf und eine ungeschickte
Hand. Die Logik fehlt, man setzt
Flächenhaftes für Körperliches, berech-
netden Schwerpunkt des Gegenstandes
falsch, wählt unrichtige Dimensionen.
Die Form entspricht nicht dem Ge-
brauchszweck; man denke an den
schweifwedelnden Mops als Pendel-
uhr und ähnliches. Es wird aber
auch in demselben Material durch
eine billigere Technik die kostspieligere
und schönere Bearbeitung vorgespie-
gelt. Glas wird geätzt statt geschnitten,
gepreßt statt geschliffen; Holzschnitze-
reien bestehen aus gepreßten Säge-
spänen usw. Einen großen Raum
nimmt der reine Kitsch, der wie in
anderen Künsten meist »gesinnungs-
tüchtig« auftritt und damit trotz allen
seinen Mängeln großen Absatz erzielt,
und die Plagiate, z. B. schlechte Nach-
ahmungen der Kopenhagener Por-
zellane ein. Die DekorfeWer teilt
Pazaurek in ihren Beziehungen zur
Schmuckform und zur Farbe in Dekor-
brutalitäten , in Schmucküberladung
oder -Puritanismus ein, in sinn-
widrige Wahl der Motive, in falsch
angebrachten oder zeit- und land-
fremden Schmuck, in Dekorüber-