Meodor Zfontane.
,So frisch blüht sein Alter wie grcisender Wein" — ivir alle waren ge-
wöhnt, ihn als den ewig Jungen anzusehn. Datz er bald heimgehn würde,
keiner dachte daran. Da siel's ihm plötzlich bei: „du, bist du nicht bald ncun
und siebzig? Dann versäume dich nicht, dann ist's Zeit." Also stand er eben
auf und ging, ohne Schmerz, ohne Abschied, „ohne Feierlichkeit".
Nein, das von der ewigen Jugend, bei Fontane war's mal mehr, als
eine Redensart. Als er seinen ersten Roman schricb, war er den Sechzigern
nah. Als die jungen Poeten in scinem Schaffcn das fanden, was sie selber
erstrebten, war er ein Siebziger. Und es ging immer noch fort, dieses Weiter-
bilden. Was heitzt denn jung sein, als: noch wachsen? Es schien ein Wunder,
wie dieses Gehirn unter weitzem Haar immer noch sich entwickelte, und war
herzerhebend zum Jubeln.
Aber wir müssen uns davor hütcn, nur auf den Fontane der letzten
Jahre zu sehn, wenn wir den ganzen Mann crfassen wollen. Die Meister-
balladen seiner frühen Zeit hallen kaum noch sernher in scinc letzten Werke
abcr man darf sie nicht überhören, will man des Dichters Lebenswerk verstehn.
Gab es doch eine Zcit, in dcr Fontane weit mehr als ein Wirklichkeitsschilderer
ein Phantasiepoct im besondercn Wortsinne war, und wenn er damals schon
seiue grotze Lust hatte am derbcn Handcln, an den Menschen der That, so
ging er dazwischen doch sogar dem Phantastischen nach bis zum Spukhastcn.
Nicht nur in seinen Gedichten zeigt sich das, auch in manchen der Novellcn,
und nicht bloß darin erinnert scine ältere Dichtung zuweilcn an Storm. Auch
Fontanes Vorliebe sür allerlei Seltsames, »Kuriöses", für das Schnörkelwcrk
an den Gebäuden des Lebens erweist sein Bedürfnis rein nach Beschästigung
der Einbildungskraft.
So war es kein nüchterner Geist, kein trockener Kopf, der schlietzlich
zum „Naturalismus" geführt ward — wenn man denn auch bei ihm das
Wort gebrauchcn will, das eigentlich Acht und Bann verdiente, wie alle
,Jsmen". Drüben Schottland hatt' es ihm gesagt: dic heimische Mark ist des
Schilderers, ist des Sängers wert, wie diese hier. Seit frühen Jugendtagen
kannt' er die Mark so gut, liebte er sie, war sie ihm Heimat. Ein „Vaterland"
ist eine abgczogcne Vorstellung, eine Jdec, ein „Vaterland" haben wir alle,
eine „Heimat" bedeutet eine Fülle von Anschauungen von allerlei Licbcm,
womit wir verwachsen sind. Für Fontane also war die Mark Heimat. Aber
auch das „Vaterland" war ihm nur erweiterte Heimat: nicht die abstrakten
Jdeen der deutschen Macht, Größe, Einheit schwcbtcn ihm vor, wenn er von
Vaterländischem sprach, sondcrn dic märkischen Bilder aus Stadt und Land,
die Menschen, die diesem Boden cntwuchsen, die Erinnerungen an ihre Geschichte
und all ihr Thun und Leiden überhaupt. Vielleicht war er gerade deShalb unser
einziger „patriotischer" Dichter, der keine Phrasen machte. Jmmer beobachtend,
nachforschend, aufnehmend bereicherte er sortwährend seinen Schatz von An-
schauungen, schuf er sich, man darf so sagen, immer mehr Heimat. So stand
er endlich da: als Poet mit lcbcndiger und in manchcm Jahrzehnt der Arbeit
geübter und erzogener Phantasie, als Mann mit ciner überreichcn Füllc sclbst-
gefundener Eindrücke, die das Heimatsgefühl fest in die Scele gesenkt hatte,
und welche die Liebe zur Heimat warm hielt — so stand er da, als sich
seine Kunst der Gegenwart zuwandte. Jst es ein Wunder, datz er da
konnte, was die Jungen wolltcn? Es bleibt schon dabei: er pflückte ihnen die
Tlunstwart Vktoberheft I8A8
,So frisch blüht sein Alter wie grcisender Wein" — ivir alle waren ge-
wöhnt, ihn als den ewig Jungen anzusehn. Datz er bald heimgehn würde,
keiner dachte daran. Da siel's ihm plötzlich bei: „du, bist du nicht bald ncun
und siebzig? Dann versäume dich nicht, dann ist's Zeit." Also stand er eben
auf und ging, ohne Schmerz, ohne Abschied, „ohne Feierlichkeit".
Nein, das von der ewigen Jugend, bei Fontane war's mal mehr, als
eine Redensart. Als er seinen ersten Roman schricb, war er den Sechzigern
nah. Als die jungen Poeten in scinem Schaffcn das fanden, was sie selber
erstrebten, war er ein Siebziger. Und es ging immer noch fort, dieses Weiter-
bilden. Was heitzt denn jung sein, als: noch wachsen? Es schien ein Wunder,
wie dieses Gehirn unter weitzem Haar immer noch sich entwickelte, und war
herzerhebend zum Jubeln.
Aber wir müssen uns davor hütcn, nur auf den Fontane der letzten
Jahre zu sehn, wenn wir den ganzen Mann crfassen wollen. Die Meister-
balladen seiner frühen Zeit hallen kaum noch sernher in scinc letzten Werke
abcr man darf sie nicht überhören, will man des Dichters Lebenswerk verstehn.
Gab es doch eine Zcit, in dcr Fontane weit mehr als ein Wirklichkeitsschilderer
ein Phantasiepoct im besondercn Wortsinne war, und wenn er damals schon
seiue grotze Lust hatte am derbcn Handcln, an den Menschen der That, so
ging er dazwischen doch sogar dem Phantastischen nach bis zum Spukhastcn.
Nicht nur in seinen Gedichten zeigt sich das, auch in manchen der Novellcn,
und nicht bloß darin erinnert scine ältere Dichtung zuweilcn an Storm. Auch
Fontanes Vorliebe sür allerlei Seltsames, »Kuriöses", für das Schnörkelwcrk
an den Gebäuden des Lebens erweist sein Bedürfnis rein nach Beschästigung
der Einbildungskraft.
So war es kein nüchterner Geist, kein trockener Kopf, der schlietzlich
zum „Naturalismus" geführt ward — wenn man denn auch bei ihm das
Wort gebrauchcn will, das eigentlich Acht und Bann verdiente, wie alle
,Jsmen". Drüben Schottland hatt' es ihm gesagt: dic heimische Mark ist des
Schilderers, ist des Sängers wert, wie diese hier. Seit frühen Jugendtagen
kannt' er die Mark so gut, liebte er sie, war sie ihm Heimat. Ein „Vaterland"
ist eine abgczogcne Vorstellung, eine Jdec, ein „Vaterland" haben wir alle,
eine „Heimat" bedeutet eine Fülle von Anschauungen von allerlei Licbcm,
womit wir verwachsen sind. Für Fontane also war die Mark Heimat. Aber
auch das „Vaterland" war ihm nur erweiterte Heimat: nicht die abstrakten
Jdeen der deutschen Macht, Größe, Einheit schwcbtcn ihm vor, wenn er von
Vaterländischem sprach, sondcrn dic märkischen Bilder aus Stadt und Land,
die Menschen, die diesem Boden cntwuchsen, die Erinnerungen an ihre Geschichte
und all ihr Thun und Leiden überhaupt. Vielleicht war er gerade deShalb unser
einziger „patriotischer" Dichter, der keine Phrasen machte. Jmmer beobachtend,
nachforschend, aufnehmend bereicherte er sortwährend seinen Schatz von An-
schauungen, schuf er sich, man darf so sagen, immer mehr Heimat. So stand
er endlich da: als Poet mit lcbcndiger und in manchcm Jahrzehnt der Arbeit
geübter und erzogener Phantasie, als Mann mit ciner überreichcn Füllc sclbst-
gefundener Eindrücke, die das Heimatsgefühl fest in die Scele gesenkt hatte,
und welche die Liebe zur Heimat warm hielt — so stand er da, als sich
seine Kunst der Gegenwart zuwandte. Jst es ein Wunder, datz er da
konnte, was die Jungen wolltcn? Es bleibt schon dabei: er pflückte ihnen die
Tlunstwart Vktoberheft I8A8