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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1909)
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Langen, Gustav: Ostergedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0014
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Iahrg. 22 Erstes Aprilhest l S0S Hejt 13

Ostergedanken

^V>^ir traten in einen Dom.

V ^Die Pforte schloß sich hinter uns, die alte Klinke schnappte
ein. Mit nüchternem Knacken hörte man's auf der Straße,
aber drinnen hallte und dröhnte es in den Gewölben. Wir waren
in einer andern Welt.

(Lrhaben über unsre Menschengestalt hinausragend und doch nicht
so unfaßbar und unbegrenzt wie der Sternenhimmel umgaben uns
die Wände dieser Welt, bereit, uns jede Klage, jeden Iubel mit-
fühlend widerzutönen, und vcrklärten selbst das Scharren unsrer Menschen-
schritte im Staube, daß es wie ein Geflüster an den Steinen entlangzog.

Wir wagten nur leise zu sprechen unter diesem Zauber, denn
wenn einer von uns sich vergessend seine Stimme erhob, dann hallte
sie wider und wölbte uns den Raum von neuem, wie der Donner
uns die eherne Himmelskuppel wölbt. Dann fühlten wir, wie klein
und irdisch unsrc Worte waren. So blieben wir stehen und schwiegen still.

And die Steine begannen zu reden. Wie die Last der Mauern
ruhte, von sehnigen Pfeilern getragen, wie hier ein Bogen nieder-
gehalten ticf im Grund gewurzelt stand, dort ein siegender jubelnd
in die Höhe stieg! Wie sich alles fügte hier und stand in dieser
andern Welt, wie dem hellen Blick geöffnet sich Bau und System
offenbarte, und wie doch Rätsel überall sragten, unergründliche Tiefen
voller Schatten und Dunkelheit!

Wir faßten unsre Hände und gingen leise einige Schritte tiefer
in den Raum. Neue Blicke und Gruppen öffneten und schlossen
sich, bald zog eine Nische uns in trauliche Enge, bald hob uns ein
weiter Raum in die Höhe. Es regte sich etwas in uns, das wollte
fliegen, und je stiller alles um uns her erschien, desto lauter pochte
eine Erwartung in uns, als müsse im Tempel nun der Gott erscheinen.

Da setzten wir uns nieder auf eine Bank. Gedämpft kamen Licht
und Lärm von draußen zu uns herein. Weich in gebrocheuen Tönen
und Akkorden wie Sphärenmusik von entlegenen Sternen klang das
harte Weltgetriebe hier und doch stärker mit seinen tiefen Grund--
tönen. Ein Aufatmen ging durch unsre Seele, und ihre Glieder
lösten sich. Mochte es so dem Verfolgten zumute gewesen sein, der
vor Iahrhunderten gehetzt den eisernen Freiring erreichte, welchen
wir eben noch am Portal des Domes gesehen hatten? Was mußte
jenen Menschen die Kirche gewesen sein! —

Von Pfeiler zu Pfeiler spann die alte Zeit ihre Fäden, wie eine
Spinne ihr Netz in einer zeitlosen Sommerstunde. Da sahen wir,
daß die Steine, die Säulen und Mauern um uns her ein Gewand
trugen, in Liebe gestickt aus Hoffnung und Dankbarkeit von ver-
gangenen Geschlechtern. Hier hatte eine Hand Wappen und Spruch
ius Holz geschuitten, dort ein kräftiger Arm in den Stein gemeißelt;
alte Farben begannen zu leuchten, und ein Hauch von Wärme, Kraft

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