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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 16 (2. Maiheft 1909)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0281
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Allgemeineres

— eher auf seine Liebe für sie, ob sie tot waren ober lebten, ob sie für
seine Licbe dankbar waren oder nicht, als auf ihre für ihn — und er licß
ihre Bilder wieder verschwinden oder bei ihm bleiben, wie sie wollten.
In dem bloßen Gefühl, geliebt zu haben, schien er selbst noch bei diesem
Scheitern des Schiffes das zu findcn, worauf seine Seele sicher ruhen und
sich verlassen konnte. Eins nach dem andcrn ließ er diese Gesichter und
Stimmen wie mechanisch kommen und gehen, so wie er alle Verse, die er
auswendig kannte, hätte wiederholen mögen, oder als ob er mit manchem
müden Einnicken dazwischen einzelne Perlen zählte.

Dennoch blieb ja auch für das alte Erdengeschöpf in ihm jener große
Segen des physischen Schlafes. Schlafen, sich im Schlaf verlieren — das
war, wie er immer anerkannt hatte, etwas Gntes. Und nach eincm
Zeitraum ticfen Schlafes erwachte er auch, mit den murmelnden Stimmcn
der Leute um sich, die ihn während seiner Krankheit so sorgfältig behütct
und gepflegt hatten nnd die jetzt um sein Bett knieten: und was «r hörte,
bestätigte in der jetzt vollkommenen Klarheit seiner Seele die unabweis-
bare Stimme seiner eignen körperlichen Empfindungen. Er hatte oft
geträumt, er sei zum Tode vernrteilt, und die Stunde sei, begleitet von
wilden Gedanken an Flucht, gekommen; und wenn er dann mit der
Sonne ringsum und in voller Freiheit des Lebens erwachte, so war er
voll Dankbarkeit für den Platz gewcscn, wo cr noch lebendig im Lande der
Lebenden war. Ietzt las er cs aber im Gebaren und Tun dieser Leute, von
denen cinige durch die Tür hinaustraten, wo in Wirklichkeit der schwers
Sonnenschcin lag, daß sein letzter Morgen gekommen war, und er bcgann
noch einmal, an dic Geliebten zu denken. Oft hatte er einstmals gcdacht, nicht
an einem dunklen oder regnerischen Tage zu sterben, das könne wohl sclbst
schon eine kleine Erleichterung enthalten. Die Lente um sein Bett beteten
voll Inbrunst: — ^bi! ^bi! Hnirna Lkrwtisris! In den Augenblickcn seiner
letzten Hilflosigkcit war ihr mhstisches Brot ihm zwischen die Lippen gelcgt
worden, es war wie eine Schneeflocke vom Himmel gestiegen. Zarte Finger
hatten auf Hände nnd Füße, auf all jene alten Eingangswege dcr Sinne,
durch die die jetzt so dunkle nnd verbaute Welt für ihn gekommen und ge-
gangen war, ein heilwirkendes öl getan. Es waren diesclben Leute, dic
an dem grauen strengen Abend jenes Tages seine Neste aufnahmen und
mit ihren gewohnten Gebeten heimlich begruben; aber auch mit Freude,
denn sie hielten ja nach ihrer großherzigen Ansicht in diesen Dingen,
seinen Tod für ein Marthrium, und das Marthrium, wie die Kirche immer
gesagt hatte, für eine Art Sakrament mit vollkommencr Sündenvcrgebung.

Nundschau

GelegenLliches vom Spiel
mit dem Ringe

s gibt ein seltsames Spiel mit
cinem Fingerring, der an ein
Frauenhaar geknüpft ist. Iemand
faßt zwischen zwei Fingern das
Haar am obcrn Ende, stützt den
Ellenbogen auf, läßt den Ring

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über dem Tisch frei schweben und
sagt zu den Zuschauern, sie sollen
seine Hand scharf beobachten; er
werde sie ganz unbeweglich halten
und nur durch die Kraft seines
Willcns den Ring zwingen, in
bestimmter Nichtung zu schwingen.
„Nach rechts!" befiehlt er dcm
 
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