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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 17 (1. Juniheft 1909)
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Die Lärmfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0324
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Iahrg.22 Erstes Iunihest 19O9 Hest l?

Die Lärmfrage

unsre Leser wissen, ist die amerikanische Gründung eines
V ^Vundes gegen den Lärm (oder besser: gegen das Lärmen, also
'gegen den überflüssigen LLrm) nun auch in Deutschland nach-
geahmt worden, und so kommt es, daß in unsern Zeitungen jetzt mehr
als früher von diesem Gegenstande die ReLe ist. Fürsprache und
Gegnerschaft machen sich laut. Also wird es wohl gut sein, wenn
auch wir unter Beachtung von beiden unsre eigne Stellung, um mit
schönem Fremdwort zu sprechen: „prinzipiell fundamentieren".

Mehr als der Meinungsgenosse regt immer der Andersdenkende an.

In den Hamburger Nachrichten schreibt Fritz Müller jetzt für den
Lärm. Aber was er von dem sagt, was wir den „schönen Lärm"
nennen könnten, den Lärm als Ausdruck reichen Lebens, berührt
sich so nahe mit mancherlei hier im Kunstwart Gesagten, daß wir's mit
Freude wiedergeben. Mit besonderer, weil es auch sehr gut ge-
sagt ist:

„Ich stand einmal am Hafen von New Pork an der Battery. Es soll
der schönste Hafen der Welt sein. Ich weiß es nicht. Aber das weiß ich,
daß ich überwältigt war von seinem wunderbaren Lärm. Von den
tausend Geräuschen, die sich aus tausenden Schiffsschloten, heulendeu
Sirenen, rasselnden Ketten, schrillenden Pfeisen, klatschend zerstäuben-
dem Wogenprall und sausenden Hämmern zu einem einzigen wunder-
vollen Akkord der Arbeit zusammenschlossen. Zu einer Symphouie
der bewegten Materie, die von hunderttausend dünnen Menschen-
stimmlein wie mit Silberfäden durchzogen war. Nnd die Silberfäden
waren die dirigierenden Nerven des gigantischen Lärmkomplexes. Durch
meine Ohren mehr wie durch meine Augen zog ein unvergängliches
Bild menschlicher Arbeitsgröße ein. Nervös? Mir war im Innern
so heilig und still wie im Kölner Dom.

Mit gleicher Andacht sog ich später die unvergleichliche Lärmmelodie
des Hamburger Hafens iu mich ein. Und bildete mir ein: Wen diese
sausenden, schrillenden, pfeifenden, HLmmernden, flutenden Akkorde
uicht erheben, der hat für das hohe Lied der Erde, für die brausende
schöpferische Arbeit der Menschheit kein Herz.

Nnd dann dachte ich: Nähme jetzt ein fanatischer Antilärmgott all
diese Geräusche mit einem Schlage hinweg — mutlos glitten die
hundert Schiffe, stumm strömte der Dampf, bleiern wälzten sich die
Wogen, sinnlos gestikulierten die Menschen — wie traurig, wie ent-
mutigend, wie lähmend, wie hoffnungslos bewegten sich die gespen-
stischen tausend Arme, Dehikel und Motore der Arbeit. Wo bliebe die
Freudigkeit?

Wo bliebe der Schlachtenmut, wenn die kämpfenden Heere mit knall-
freiem Pulver dcn Feind erschössen? Kein fröhliches Geknatter mehr
— ein unsichtbarer, ein lautloser Kampf. Kaum eine dumpfe Welle
des Röchelns wälzte sich über das Schlachtfeld. Wo sind die Helden,
die da kein Grauen erfaßte, die so sterben möchten?

(. Iuniheft 257
 
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