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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 17 (1. Juniheft 1909)
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Die Lärmfrage
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Heuss, Theodor: Frank Wedekind
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0329
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unwichtiger sind als die aufdringlichen lauten. Es ist immer wieder
die noch ungebändigte Zivilisation, die am meisten beachtet, was am
meisten „schreit", eigentlich und übertragen gesprochen (man denke
nur an die Reklame), dieselbe Zivilisation, die suggeriert, majorisiert
und terrorisiert. Die Zivilisation ist es, aber nicht die Knltur.

Und das allein wäre für die Lärmgegnerschaft zureichender Grund.
Daß auch die Kranken Rechte haben, sollte immerhin in Gnaden zu-
gegeben werden: wer je in einem Krankenhause gelegen, dessen Nach-
barschaft sich mit der Zeit „belebt" hat, der weiß, wie das Nachtruhe
und Tagesfrieden der Menschen stört, die doch wohl an ihrer er-
höhten Empfindlichkeit als Kranke unschuldig sind und deren möglichst
schnelle und gründliche Genesung nicht uur in ihrem privaten, sondern
auch im Interesse der Allgemeinheit liegt. Nun gibt es ja Kranke
nicht nur in Hospitälern, sondern in jedem Haus.

Also: man ülge doch die Mißverständnisse aus in einer Sache, die
mit dem sich mehrenden Lärmen der Zivilisation dringlich geworden
ist. Was Wille, was Selbsterziehung vermögen, das soll zur Stär-
kung seiner geistigen Leistungen der einzelne tun, statt die Flinte vor
seinem lärmenden Feinde ins Korn zu werfen, und je mehr er sich
hier abhärten kann, je besser wird's ihm zugute kommen. Es ist be-
sonders bei regelmäßigen Geräuschen und besonders bei Leuten mit
gesunden Nerven viel. Deshalb ist's aber doch an der Zeit, daß wir
das überflüssige Lärmen beschränken, und endlich an eine „Kultur
der Geräusche" denken. Entbehrliche Geräusche gehören ja auch
nicht in die Ausdruckssymphonie der Zivilisation, von der wir im
Anfange sprachen, sie sind für den, der ihre Entbehrlichkeit durchschaut,
nichts weiter als eine Aufdringlichkeit ohne Grund, wenn man will:
ein parvenühaftes Sich-Groß und Laut-Machen. Oder auch: sie sind
noch Zeichen der Angeschicklichkeit, der zur restlosen Bewältigung der
Aufgaben noch nicht ausreichenden Kräfte. Die Maschine, die leise
geht, wirkt auch dem Fachmann erfreulicher, als die, welche ohne Not
knarrt und knackt. Auch unsre Zivilisation als Gesamtheit ist eine
Riesenmaschine, die nicht nur durch gutes „Olen", die auch durch
technische Veränderungen zu einem leiseren Gange gebracht werden
kann. Gerade die Modernsten der Modernen, die Ingenieure, wer-
den nach ihren eigensten Grundsätzen den leiseren Gang auch als
den „eleganteren" empfinden. Zugleich aber oft auch als den zweck-
mäßigeren schon deshalb, weil der überflüssige Lärm oft auf un-
produktiven Verbrauch von Kraft deuten wird.

Frank Wedekind

edekind ist die Literatursensation von gestern. Vielleicht lernt
^»^M A man es jetzt, ruhiger über ihn zu reden, ohne den heftigen
Bekennerton, der so herzlich schlecht zu diesem Manne paßt.
Da stand die Frage: Für oder gegen? Diese Frage taugt in der
Kunst überhaupt wenig, denn es handelt sich bei ihr nicht darum,
einen Parteiwillen zu züchten. Nnd nun vollends hier, bei einem
Werk, das die wenigsten übersahen, bei einer Schöpfung, die überall
Ansatz und nirgends Vollendung war, bei einem Dichter, der mit

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