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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1909)
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Polenske, Karl: Ausdruckskultur und Bodenreform
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0250
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Iahrg.22 Zweites Maiheft I90S Hest lö

Ausdruckskultur »nd Bodenreform

usdruckskultur verlangt wahrhaftigen Ausdruck des Wesens.

Wessen Wesens? Der gestaltenden Persönlichkeit? Gewiß:
^*^im „Olympischen Frühling" kommt Spittelers Ich zu wahr-
haftigem Ausdruck. Aber auch dem Wesen der Sache wird er zu-
teil: der Weltauffassung des im Idealstil lebenden Menschen von
heute.

Erweitert nun der Freund der Ausdruckspflege seinen Gesichts--
kreis von den Werken der Kunst auf alle Erscheinungen des Lebens,
so wird sein Blick auf viele fallen, die nur das Wesen einer Sache
zum Ausdruck bringen, während die gestaltende Persönlichkeit un--
sichtbar bleibt, bleiben muß. Einen solchen Fall bietet das Recht.

Die Rechtsordnung ordnet die Lebensverhältnisse einer Mehr-
zahl von Menschen, indem sie den einzelnen und ihren Verbänden
Anteile an den vorhandenen und entstehenden Lebensgütern gewährt,
sie in ihrem Besitz und Genuß schützt, ihren Erwerb und Umsatz
regelt usw. In der Rechtsordnung findet also das Verhältnis der
Menschen zu den Lebensgütern Ausdruck.

Inhalt und Maß dieses Derhältnisses bestimmt sich nach der
Natur des idealen Normalmenschen von heute. Der ist weder
Herren- noch tzerdenmensch, sondern soziales Individuum, einzelner
mit Gemeindrang. Von seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten aus
sind die Anteile an den Lebensgütern so zu gewähren, daß sie weder
den einzelnen auf Kosten andrer einzelner oder der Gesamtheit, noch
die Gesamtheit auf Kosten gewisser oder aller einzelner bevorzugen.
Ie mehr eine Rechtsordnung dieser Forderung entspricht, um so
mehr ist sie der wahrhaftige Ausdruck des Verhältnisses des heutigen
Normalmenschen zu den Lebensgütern.

Beispiele:

tz Nach geltendem Rccht fällt dem Grundeigentümer auch der
ohne seine Arbeit entstehende Wertzuwachs zu, den sein Boden durch
die bloße Zunahme der werktätigen Bevölkerung oder durch gemein-
nützige Anlagen, z. B. eines Bahnhofs, erfährt. Diesen Wert-
zuwachs, den die Gesamtheit schafft, aber nicht bekommt, muß sie
auch noch selber bezahlen: in Gestalt erhöhter Miete und ihrer
Ansstrahlungen. Die Wirkungen dieses Zustandes: Mietkaserne,
Wohnungselend, Tuberkulose usw., sind bekannt.

Lrgebnis: Das geltende Recht bevorzugt einzelne auf Kosten
der Gesamtheit.

Diesem Mißverhältnis versuchen schon jetzt einige deutsche Stadt-
und Landgemeinden dadurch abzuhelfen, daß sie den unverdienten
Wertzuwachs besteuern, der dem in Privathand befindlichen Boden
zuteil und bei Verkäufen sichtbar wird. Aber auch Staat und Ge-
meinde dürfen sich diese ergiebige Steuer nicht entgehen lassen. Mit

^ 2. Maiheft GOY chZ
 
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