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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Der Jugend
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Bleuler-Waser, Hedwig: Vom Papier zum Leben!: anläßlich achtjähriger Schriftsteller
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0171
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alt und müde war. Die unsrige ist in dieser Beziehung jung. Wir
beweinen nicht, wir wollen helfen. Wir wollen bessern, und so rufen
all die vielen Außerungen auch unsres Verhältnisses zum Kinde frisch,
wie nach dem Erwachen in Morgenluft, zur Tat.

So klagen wir denn vor der Iugend nicht dem nach, was wir
verloren haben, sondern wir freueu uns bei ihm dessen, was werden
kann. Auch das Kind ist uns nicht mehr GegenstanL der Betrachtung
als eines Wesens, das wirklicher- oder eingebildeterweise uns eine
schönere eigene Vergangenheit wie im Bilde vorführt, sondern es ist
uns in jeder Beziehung ein lebendes Wesen an sich. Eins, das wir
realistischer und objektiver betrachten, als unsre Vorfahren taten, weni-
ger bereit zum Hineinlegen aus uns, mehr zum Erkennen aus ihm,
mehr zum Helfen für es. Es ist uns ein Wesen mit mehr Menschen-,
Bürger-. Persönlichkeitsrechten. Eins, in dem wir bei all seinem kleinen
Menschleintum doch schon den Gatten sehn und Vater oder Mutter, die
einst daraus werden und denen wir schaffen möchten, das; sie beglückend
über sich hinauswirken auf Geschlechter. Wie wir wirken wollen, statt
nur selbstisch zu betrachten, zu genießen, oder gar Blumen nachzutrauern,
die uns einzelnen abgeblüht sind, weil Zeit zum Fruchten war. A

Vom Papier zum Leben!

Anläßlich achtjähriger Schriftsteller

iner jener Naturpropheten, die mit wallendem Haar und nackten
R^^Füßen durch die Lande ziehen, brachte mir eiust als Glaubenssatz
^^die Behauptung vor: daß in jedem Menschen unter anderem auch
ein Maler, ein Musiker und ein Dichter stecke, eingeborene gottver-
liehene Lebensgefährten, die man nur aus Faulheit und Feigheit ver-
leugne und verliere.

Fast hätte ich ihm recht gegeben, als ich jüngst die Geistesprodukte
achtjähriger Knaben und Mädchen zu Gesicht bekam. Diese schienen
mir alle schriftstellerisch, ja dichterisch begabt. Aus welchen Ecken der
Welt haben Sie denn die Wunderkinder zusammengebracht? höre
ich fragen. Ach, schwer war's nicht, denu sie sitzen alle nebeneinander
in der dritten Klasse einer Wiener Privatschule, der ich neulich
einen Besuch abzustatten das Vergnügen hatte. Oder ist es kein
Vergnügen, Kinder mit so strahlenden Gesichtern in die Schulstube
treten zu sehen, als kämen sie zu einem Plauderstündchen bei der
Märchentante? Kein Vergnügen, wenn diese Gesichter selbst in der
Rechen- und Grammatikstunde weiterglänzen, in der Naturgeschichte
gar, bei den zu Hilfe gerufenen Erinnerungen an allerlei Ferien-
wunder sich so beleben, als spaziere man draußen in Wald und
Feld? — Da saßen sie also, die dreißig Schriftstellerchen, aus deren
Produkten — einfachen Schulaufsätzen — mir ein Duft in die Seele
gestiegen war, nicht nach gewalkten Lumpen und Schultinte, sondern
nach der keimenden Erde vorfrühlingsfrischen Kinderlandes.

Wer will, kann die s32 bunt zusammengestellten, sogar in Ortho-
graphie und Interpunktion originalgetteuen Proben nachlesen im
sechsten Iahresbericht des MLdchenlyzeums mit Coödukations-Volks-
schule von Frau vr. pbil. Eugenie Schwarzwald in Wien. Dem
Rat der Vorrede folgend, habe ich sie als lieblichen Lesestoff für

;Z0 Kunstwart XXII, sö
 
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