Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1909)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Laiengedanken vom Richtertum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0398
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Iahrg.22 Zweites Iuniheft 1SO9 Hest18

Laiengedanken vom NichLertum

dem ersteu preußischen Richtertag gab es schwere Klagen,
das Ansehen des Richterstandes gleite hinab. Wer heute auch
^»^nur über die fünfzig hinaus ist und somit wenigstens seine
drei Iahrzehnte lang dem Weltlaufe mit erwachsenen Augen zu-
sieht, streitet über die Voraussetzung dieser Beschwerden nicht mehr.
Das Ansehen des deutschen Richterstandes i st im Sinken. Das
stolze „es gibt Richter in Preußen, Majestät" ist noch die ganze
Konfliktszeit hindurch und ist bis weit über den großen Krieg hinaus
der stille Trostglaubensspruch Tausender gewesen, die sich von un-
lautern Mächten bekämpft wußten oder von ihrem Gewissen zu irgeud-
welchem Kampf ihrerseits gegen Mißbräuche der Macht gerufen wurden.
Aus unsern Studentenzeiten her wissen wir's noch, wie fest wir
vertrauten. „Geht's gegen dich," so dachten wir, „wohl, vor dem
Forum darfst du sprechen und dort hört man dich, und die dich
hören, die Erfahrenen und Klugen, die Kenner und Könner, die
Anparteiischen und Unabhängigen, die Gerechten am Richtertisch, sie
werden dich auch verstehn." Man freute sich in der Einbildung
ordentlich darauf, wenn's einmal dazu kommen sollte. Auch wer
politisch weit in der Opposition stand, vertraute wie der Müller
von Sanssouci selbst gegen den König auf die Iustiz. Der Glaube
an die Grundlage des Staats, an das Fundament der Gesellschaft,
die unerschütterte Äberzeugung, daß Recht und Rechtsprechung Ge-
rechtigkeit sei, das alles lebte in uns. Und zeugte in uns
frohstarke Gefühle in Liebe zum Vaterlande weiter.

Spielen wir nun kein Vogelstraußspiel gegen eine Wahrheit, der die
Richter selber ins Auge sehn. Einer Menge von Denkenden scheiut
der Richter von heute nichts wciter als der Gesetzanwendungsmechauiker
ohne innerlich beteiligtes Ich. Einer Menge von weniger Denkenden
scheint er ein Streber oder ein Pfründengenießer und der moderne
Vertreter jenes „Hochmuts der Amter«, den wir schon aus unserm
Shakespere kennen. Andre wieder sehen in ihm den Vollzieher einer
Klassenjustiz.^ Die Gesellschast, zwischen welcher er^ selber sich bewegt,
schätzt seine Stellung etwa so: Hat er hauptsächlich über ihr Heiligstes
zu entscheiden, nämlich übers Geld, so steht er als Zivilmann ein
bißchen höher im Ansehrr, hat er über Freiheit, Gefängnis oder
auch Tod und Leben zu entscheiden, so wird er, als Kriminalist,
etwas weniger ästimiert. Daß er, wenn er's kann, aus der Iustiz
in die Verwaltung geht, nimmt man aber als höchst natürlich hin —
vorausgesetzt, daß er's kann, also daß er ein „von" vor dem Namen
hat oder einen Korpszirkel dahinter. Ich sage nicht: so ist's, ich
sage: so denkt man. Und weiter denkt man: „Ausnahmen, versteht
sich, sind zuzugeben. Es gibt sogar Prachtmenschen, versteht sich,
unter den Richtern. Nnantastbare Charaktere, versteht sich!" Ist
es nicht zum Aufbrausen und Dreinschlagen, daß man bei der Rechts-
pflege im Namen des Königs von Ausnahmen zu sprechen wagen

2. Iuniheft tstOst 32s
 
Annotationen