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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 16 (2. Maiheft 1909)
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Pfordten, Hermann von der: Josef Haydn
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0253
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Iosef Haydn

^»^ie Iubiläen begegnen sich. Am 3. Februar waren es hundert
^-^^Iahre, daß Felix Mendelssohn geboren ward, am 5s. Mai sind
es hundert, daß Iosef Haydn starb. Natürlich werden die beiden
Gedcnktage cntsprechend gefeiert; so etwas läßt sich die musikalische Welt
nicht entgehen. Aber merkwürdig ist der Gegensatz: der jüngere Meister

muß beinahe dcr Vergangenheit entrissen, zu seinem huudertjährigcn

Geburtstag beinahe erst wieder zum Lcben erweckt werden; der ältcre
ist nach hundert Iahren nicht nur noch lebendig, nein, cr scheint gcradezu
von dem Zauber der ewigen Iugend gekrönt. Das Iubiläum im Februar
nahmen wir zum Anlaß, unser Vorurteil zu zähmen und Verloren-

geglaubtcs wiederzugewinncn. Davon ist gegenüber dem Unsterblichen,
den wir im wundcrschönen Monat Mai feiern, keine Rcde: was Hahdn
war und ist und bedeutet, das, so denkt man zunächst, braucht man

niemand crst zu sagen.

Ist das wirklich so ganz sicher? Dann wäre ja die Äbcrflüssigkcit
solcher Zentcnarfeiern „wieder einmal" erwicsen. Es wäre aber eine
Täuschung, bei Hahdn wie bei Mendelssohn, an derartige Festigkeit dcr
Anschauung zu glaubcn. Im Gegcnteil: der chrliche Kunstfreund muß
gemahnt werden, nicht allzu gutgläubig der allgemeinen Meinung zu
folgen. Und nicht nur durch Tadel wird eiu Meister verkannt; auch
das Lob kann verdächtig klingen. Gerade bci Haydn trifft das zu.

»Ewige Iugend" — ein Götterliebling, dem sie beschieden ist im Leben
und im Schaffen. Ewig jung — das heißt unabhängig von der Mode,
von dcr Kleinlichkeit und Engherzigkeit des Tages, unberührt von der
Schwäche und Blässe des Problems und der Theorie, unverwundet von
dem Pfeilgift des Zwcifcls und des Spottes, frisch, reich, gcsund und
klar auf sich selbst gcstellt und aus cigener Kraft und Fülle schöpfeud,
beglückend, segncnd für Mit- und Nachwelt. Es ist ja gar nicht aus-
zudeuten, was alles darin beschlossen liegt, wieviel innerer Besitz, wicviel
äußere Gestaltung. Berauschen möchte man sich an dem Gedanken. Aber
da kommt die Ernüchterung mit der Frage: ist so etwas denkbar? kann
ein Mensch und Künstler ewig jung bleiben? muß er nicht altern durch
Erfahrung, durch Enttäuschung, durch alles das, was das Lebcn ihn
lchrt? ist die „ewige Iugend" nicht am Endc gar eiue Phrasc? Dazu
soll sie doch nicht herabgewürdigt werden; es gilt sie zu retten um
jeden Preis. Wenigstens „bevorzugten Naturen" soll sie gcwahrt bleiben.
Wenn aber unerbittlich weiter gefragt wird, wie denn eine solche bc-
vorzugte Natur zu dcnken sei, dann wird's crst recht gcfährlich. Danu
heißt es: „die wie im wachen Traum durchs Leben gehen, rechts und
links an Abgründen vorbei, die sie gar nicht gewahren, frei und fröhlich
ihrer Natur folgend, los auf ihr Ziel, unbeirrt uud uncrmüdet, nur
von ihrem Genius geleitet — das sind die Glücklichen, Bencidcnswcrtcn,
das sind die ewig Iungcn. Hahdn war auch so einer: iinmer hcitcr,
immer zufricdcn, immer sonnig, immer Optimist." So uugefähr klingt
das Preislied, das ihm zu Ehren angestimmt wird. Merken wir dcnn
gar nicht, wie bedenklich das lautet? Eigentlich doch auf deutsch: „um
ewige Iugend' zu gewinnen, muß man ein Kind bleiben; um nicht
zu altern, muß man die Augen zumachen; um nicht vom Ernst

M Kunstwart XXII, s6
 
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