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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 16 (2. Maiheft 1909)
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Pfordten, Hermann von der: Josef Haydn
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0256
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die Grenzen seiner Kunst zn erweitcrn. Die Perspektive verliert sich in der
Ferne. Wir können Hahdn nicht mehr so einschätzen wie seine Zeitgenossen.
Aber geschichtliche Einsicht und persönliche Erfahrung lchren ihn auch nach
der ungeheurcn Entwicklung scither doch sehen, wie er war.

Auch als Mcnsch ist er viel verkannt worden. Richard Wagncrs Wort
vom „fürstlichen Bedienten" war zwar sicher nicht dazu bestimmt, ihn
herabzusetzen, aber doch dazu angctan. Gar zu leicht schloß man
wciter: so wie er sich in Esterhazyschen Diensten wohlgefühlt hat, so
war ihm überhaupt alles recht; und so, wie er mit der Welt und seinen
lieben Mitmenschen zufrieden war, so gab er auch ihnen keine Rätsel
auf und war leicht und bcquem zu haben. Das ist ganz schief gcurteilt.
Er war vielmehr sehr temperamentvoll und ganz gehörig selbstbewußt;
und wenn auch erst seine Londoner Reise seinen Freiheitsdrang zum
Ausbruch gcbracht hat, so bedeutet das doch keine plötzliche Amwandlung
seines ganzen Wesens. Gewiß war er kein dämonischer Charakter wie
Beethoven, abcr ebensowenig ein unbedeutender Mensch oder ein seichtes
Gemüt. Er hat es sehr ernst genommen mit dem künstlerischeu Schaffen.
Auch seine tiefe, echte, warme Religiosität wäre mit Oberflächlichkeit und
Gcdankcnlosigkeit unvereinbar. Von seinem edeln reinen Herzen zeugt
hcrrlich seine ncidlose Licbe zu Mozart. Tobende Leidenschaftlichkeit lag
ihm fcrn, griesgrämige Laune nicht minder. Helle Daseinsfreude, dank-
bares Gcnießen, bescheidenes Auftreten, allcs stimmt vorzüglich zusammen
beim Mcnschen wie beim Künstler.

Kindisch und kindlich ist zweierlci. „Kind" war Hahdn nur, insofern
er naiv war im positiven künstlerischen Sinn. Das versteht man oft
nicht, und so mag sich's erklären, daß wir Hahdn, wenn überhaupt, dann
leider oft so falsch zu hören bekommen. Da wird der Musik auf-
gcholfcn durch allcrlei MLtzchen, die sie verderben, oder sie wird wie in
Verlegenheit heruntcrgedroschen, als schäme man sich ihrer und suche
sie so rasch wie möglich wieder loszuwerden. Alle Anmut, alle Feinheit,
alle Noblesse geht bci solchem Zerrbild verloren. Dann lieber gar nicht.
Nur um dcm immerhin berühmten Namen zu huldigen, nur um der
musikalischen Anstandspflicht zu genügen — nein, dann spiele man ihn
liebcr nicht! Hoffen wir, daß solchc Karikatur immer seltener werde und
cndlich verschwinde. Wir brauchen unsrcr Zeit wcder das Bedürfnis
noch die Fähigkeit abzusprechen, Hahdn zu verstehen und zu genießen.
Nicht das „große Kind" und nicht den „Papa", sondern dcn M e i st e r.
Was ihm den Zauber dcr ewigen Iugcnd verleiht, das ist seine Origi-
nalität. And gerade dafür, sollte man meinen, müßte unsre Zeit
ganz besondcrs cmpfänglich sein. Gerade das muß lcbendig zu uns
sprechen, was in echter Eigenart gegründet und gcstaltet ist. Mögen
wir noch so wcit davon cntfernt sein, wir hören es heraus, und es ver-
altet nie. Hermann von der Pfordten

Lose Blätter

Aus „Marius dern Epikureer"

von Walter Pater

sZu eincm vornchmcn Buche ladcn wir heut unsrc Leser ein. Zu
cinem Buche von rciner starkcr Gcistigkcit, das nicht nur scines „schwercn

2. Maiheft chOZ >99
 
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