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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 17 (1. Juniheft 1909)
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Heuss, Theodor: Frank Wedekind
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0336
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pathetisch, wollte man ihn einen Idealisten nennen; die sehen anders
aus und haben den Schwung der Seele und die reinen Mittel.
Wedekind aber verlor sein ursprüngliches und nicht geringes Talent
an etwas verhockte Geschlechtssentimentalität und wurde darüber zum
ethischen Romantiker. Das lockerte auch seine Form und zersprengte
seine reiche und lebendige Lrfindungskraft ins Kleine und Will-
kürliche. TheodorHeuß

Aus Frank Wedekinds Schriften

sDem «inen ein Greuel, dem andern ein Nichts, dem dritten (es ist
tatsächlich so) unter allen dcutschen Poeten der größte, ja etwas wie „der
Shakespere unserer Zeit", so wurde Wedekind mit Haß und Liebe noch
im vorigen Iahre so leidenschaftlich verfolgt, wie cr sich's eigentlich nur
wünschen konnte. Zum rnhigen Abwägen ist wohl erst jetzt die rechte Zeit.
Theodor Heuß hat dieses ruhige Abwägen versucht — und die Schale hat
sich vor seinen Augen nicht da, wo sie Wedckinds Werke trug, gesenkt.
Immerhin, Werte sieht auch er bei diesem Sonderbaren. Und von den
Werten Proben zu zeigen, ist dic Aufgabe der „Losen Blätter", wie
immcr, so auch diesmal, nicht etwa Veweismaterial gegen dcn Angeklagten
zu bringen. Wir zeigen also im folgenden solche Stücke von Wedekind,
die nach unsrer Meinung seine „Kraft und Eigenschaft" erweisen.

Nach dem einleitenden Gedicht znnächst die Szene aus dem „Kammer-
sänger", welche das Eindringen des alten „verkannten Gcnies" darstellt
und eincn Thpus nicht nnr nach dcm Lächerlichen, nein, trotz der ein-
gestrcuten Wedekindschen Komik ganz bcsonders nach dem Tragischen hin
in überzeugender und ergreifender Lebenswahrheit schildert. Und dann
die „Elendenkirchweih" aus „So ist das Lebcn", vielleicht das im spe-
zifischen Sinne dichterisch Wertvollste, was Wedekind gebildet hat.

Alle wichtigeren Büchcr Wedekinds sind bei Albert Langcn in München
erschienenI

Der Taler

^vzlitzt der Taler im Sonnenschein,

-O'Blitzt dcm Kind in die Augen hinein,
Aber die Wangen rollen die Tränen.

Mutter zieht gar ein ernst Gesicht:

Vor dcm Laler, Schatz, fürchte dich nicht;
Nach dem Taler sollst du dich sehnen.

Sieh, mein Herzblatt, auf Gottes Wclt
Für uns Menschen gibt's nichts ohne Geld,
Hätt ich dich, Herzblatt, auch nicht bekommen.
Bist noch so unschuldig, noch so klein,

Und willst täglich gefüttert sein,

Hast es mir selbst aus der Tasche genommen.

(. Iuniheft (909
 
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