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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 18 (2. Juniheft 1909)
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Bender, Ewald: Hodlers Jenaer Universitätsbild
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0406
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Links und rechts streben die Pferde seitlich zum Bilde hinaus. Die
Tendenz wird stabiliert durch die Gegenbewegungen des Aufsitzenden
links, des Pathetischen rechts. Ihnen wiederum neigen sich in Kurven
die mittleren Figuren zur Harmonie. Gegeneinander erzeugen
sie einen wirksamen Kontrast, der das Auge besonders auf die wunder-
volle Gestalt des den Rock anziehenden Iünglings hinlenkt. Iknd dann
der unerschütterliche Zug der Soldaten oben, mit jenem Schrittmotiv,
das sich mir als Symbol verhaltener Kraft für immer eingeprägt
hat. Auf andre Art als unten wird hier die Gefahr des Aus-dem-
Bilde-Laufens der Bewegung vermieden. Zu beiden Seiten werden
von der ersten und letzten Rotte durch fast parallele Diagonalführung
des Blickes die mittleren gewissermaßen eingerahmt, während innen
die Richtungen leiser gegeneinander abgewogen werden. Alle Diffe-
renzierungen des Ausdrucks liegen im Gestus, in den Konturen;
das Mienenspiel erscheint dagegen erstarrt. Gegeben ist dann endlich
das Erdige aller Farbwerte: das Gelände gelbgrau bis rosa, die
Horizontlinie stumpfes Grün (wie alle Konturen blau oder grün
nachgezogen sind), der Himmel weißblau, die Pferde orange bis gelb-
grau — und als einziger starker Akzent das dunkle Blaugrün aller
Bniformen mit dem dunklen Ziegelrot der Fleischfarbe. Das Hemd
des Iünglings, der sich den Rock anzieht, hellrotviolett. Alle Werte
sind, sich gegenseitig steigernd, mit Bewußtheit komplementären Ver-
bindungen angenähert. So schließt sich alles zu grandioser Ruhe
zusammen.

Gar viel des Lobes, und immer noch zu wenig! Ich weiß wohl,
was man alles an berechtigten Einwänden gegen das Werk vor-
bringen könnte. Aber warum soll ich besprechen, worauf jeder Ein-
äugige entdeckerfreudig mit dem Finger weisen wird: die „Unmöglich-
keiten" der Zeichnung, besonders der Pferde, die „Roheit" und das
„Äbertriebene" des Ausdrucks? Ach, „richtig zeichnen" können
viele — und tzodler am besten. Aber dieser Künstler ist so eigen-
sinnig, den seelischen Wirkungen einer „unrichtig« geführten Linie
die konventionelle Korrektheit bedingungslos zu opfern — aä maiorsm
voi Aloriam. Ewald Bender

Lose Blätter

Gedichte von Martin Greif

sWieder hat ein deutscher Dichtcr das Glück, das siebente Iahrzchnt
zu vollenden, also daß dic ganze gedruckte deutsche Sffentlichkeit wicder
einmal Kenntnis vom Dasein eines deutschen Dichters zu nehmcn ge-
zwungen ist, der nicht gerade das „Buch der Saison" oder den Schwank
der Saison geschrieben hat. Wir wollcn uns, um dieser Wirkung willcn,
des Brauches freuen, obwohl er auf einer Außerlichkeit fußt, die im
Familien- und Staatsleben mehr Sinn hat. Ia, wir möchten cben
um der Wirkung willen den Branch im Künstlcrbereich sogar noch aus-
gedehnt schen: man sollte auch die siebzigsten Geburtstage derer be-
gehen, die das Altcrsfest leiblich nicht mehr erleben, die aber in ihrem
hinterlassenen Werk lcbendig blieben.

2. Iuniheft chOH 529
 
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