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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 15 (1. Maiheft 1909)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0215
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Theater

bildung, in Lharlottenburg würden
einige Schulklassen als Leseräume
am Nachmittage freigegeben. Wenn
dazu noch die Lehrer als Berater
hülfen, bekäme die Schule neue
Bedeutung und würde den Kindern
auch noch lieber.

Das zweite ist, daß es bei den
Kinderbibliotheken nicht bleiben
kann. Schon in Amerika zeigt sich
dies in der Praxis. Die Kinder
wollen nicht nur lesen, sondern
auch spielen oder sich vorlesen
la,sen. Es wäre auch Unsinn,
Kindern immer und wieder nur
Lektüre anzubieten. Das städtische
Volksbildungssekretariat in Heidel--
berg stellt gegenwärtig ein Modell
aus, das, vom Bibliothekar Georg
Zink' erdacht, den Plan eines
Volkskinderheims darstellt. In
diesem Zusammenhange sei nur er-
wähnt, daß der Gedanke des Volks-
kinderheimes eine Erweiterung der
Kinderbibliotheken bedeutet, es will
den Kindern ein Heim sein für
Spiel und Arbeit während der
schulfreien nnd aufsichtslosen Stun-
den. So ein Kinderheim könnte
dann sowohl den Volkslesehallen
wie auch den Volksschulen an-
gebaut werden. I. L. S.

Berliner Theater*

ußergewöhnliches wie Rein-
hardts dreifache Faust-
aufführung am Deutschen
Theater in Berlin verdient
langsam betrachtet und sorgsam
gewürdigt zu werden. Ein eiliges
Referat unmittelbar nach dcn ein-
zelnen, zum Leil so stark von-
einander abweichenden Darstellun-
gen würde selbst wieder den ge-
fährlichen Mächten der Aberstür-

* Die Ostcr-Aufführungen des
Fausts an andern deutschen Büh-
nen, die wir auch abwarten woll-
ten, haben nichts Neues geboten.

zung und der Sensation verfallen,
denen die drei Abende ihren reich-
lichen Tribut gezollt haben. Denn
das ist doch das Bezeichnende dieses
Anternehmens: Goethes „Faust" ist
hier nicht bloß als ein willkom-
menes Objekt der szenischen Regie
benutzt worden — das ist er von
jeher gewesen, von Klingemanns
erstem Versuch an bis auf Wil-
brandt, L'Arronge und das Münch-
ner Künstlcrtheater —, er ist auch,
um einmal ganz handwerksmäßig
zu reden, zu einer Art Gesellen-
stück der persönlichen Schauspiel-
kunst — ja, sagen wir's nur gerade
heraus: herabgewürdigt worden.
Sich damit abzufinden, wird dem
unbefangenen Betrachter um so
schwerer, je höher er den künst-
lerischen, sittlichen und nationalen
Wert dieses poetischen Heiligtums
schätzt. Man erträgt, scheint mir,
leichter eine mittelmäßige Aufsüh-
rung dieses Werkes, sobald sie
nur ein klein wenig innere Ge-
schlossenheit hat und Dauer ver-
bürgt, als drei schncll aufeinander-
folgende, von denen jede neue
überraschende oder aufschlußreiche
Neuheiten bringt, keine einzige
aber den Eindruck des Experi-
ments, des Tasteuden, des ab-
sichtlich Suchenden vermeidet. Die
Gerechtigkeit befiehlt uns, an dieser
Anternehmung außer dem das
Ganze durchdringenden Eifer tau-
send Einzclheiten anzuerkennen, zu
loben, zu bewundern; gleichzeitig
aber zuckt unsre Liebe zu der Dich-
tung unter dicsen „ncuen Errun-
genschaften" zusammen und fühlt
sich belcidigt, wenn sie erkennen
muß, daß trotzdem die Seele des
Wcrkes keinen nennenswerten Ge-
winn davongetragen hat.

Doch noch einmal: man komme
uns nicht wieder mit dem alt-
belicbten Vorwurf, Neinhardt ver-
zettele sich an Regieäußcrlichkeiten!

Kunstwart XXII, lö
 
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