Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

DOI issue:
Heft 17 (1. Juniheft 1909)
DOI article:
Rundschau
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0376
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
auf cineu Genuß als Endzweck
zueilt, er steht ihm mit eiuer Art
blasser Liebe unb scheuer Achtuug
gegenüber. Der Geizige liebt und
perehrt das Geld, wie mau einen
Meuschen liebt, von dem man
nur wsiß: sein bloßes Dasein schon
nnd die Empfindung des Mitihm-
seins kann, ohne daß das Ver-
Hältnis zn ihm in die Einzelheit
konkreten Genießens überginge,
Seligkeiten verbreiten. Der Gei-
zige mag das Geld als Mittel zu
irgendwelchen Genüssen nicht be-
nutzen: so bleibt er dem Gegen-
stande seiner Liebe fern, er stellt
has Geld zu seinem Ich in eine
brückenlose Distanz, die er demnach
durch das Bewußtsein seines Be-
sitzes immerfort zu überwinden
sucht.

Indem das Gcld als absolutes
Mittel einen unausgenütztcn Be-
sitz zuläßt, den Genuß gewisser-

maßen immer voranschweben läßt,
ohne daß es ihn zn ergreifcn
zwänge, bietet es sich dem zum
Geiz Vcranlagten als besonders
williges Objekt sciner Leidenschaft
dar und giüt dem Geiz die be°
sondere, oben angedeutete blasse
Farbe der abstrakten Freude und
einen besonders hohen Intensi-
tätsgrad. Allein das Geld hat
nicht nur als absolutes Mittel

scine Bcdeutnng für die Lcidenschaft
des Geizes, sondcrn vor allem
auch als absolntes Mittel: es

hält dcm Besitzer stets unbe-

grenzte Möglichkeiten des Ge-
nicßens offen, es ist das gleichsam
geronnene und Substanz gewor»
dene „Können", cs ist dcr Beherr-
scher der sonst so ungewissen In-
kunft. Hier offenbart sich nun ein
zweites Moment, mit dem die
reine Geldwirtschaft den Geiz be°
günstigt: das im Gclde sich ver-
körpernde nnbegrenzte „Können"
bedeutet psychologisch Machtge-

fühl, dessen Steigerung, wie die
Geldhäufung, an keine Grenzen ge°
bnnden ist. So ist der Geiz, in
ganz anderer Weise als in natural-
wirtschaftlichen Verhältnissen — in
her Geldwirtschaft eine Gestal-
tnng des Willens zur Macht.
llnd zwar so, daß die Macht hier
wirklich Macht bleibt und sich
nicht in Ansübung und Genuß
nmsetzt. Denn das mit dem Geld-
besitz verbnndene Machtgcfühl er-
wächst aus dem dauernden Iurück-
halten des Geldes — wenn sich
dieses in das Genießen konkretcr
Dinge umsetzen würde, würde jenes
verloren gchen. Es ist daher ein
Irrtnm, wcnn man sich jeden
Geizigen mit der Ausmalung allcr
chm znr Vcrfügung stehenden Ge-
nüsse, all dcr reizvollen Verwen-
dnngsmöglichkeiten des Geldes bc-
schäftigt denkt. Die reinste Form
des Geizes ist vielmehr die, in der
der Wille wirklich nicht über das
Geld hinausgeht, es auch nicht
einmal in spielendcn Gedanken als
Mittel für anderes behandelt, son-
dern die Macht, die es gerade als
picht ausgegebenes und nicht aus-
zugebendes darstellt, als lctzten und
absolut bcfriedigenden Wert cmp-
findet. — In diescm mit dein
Geldbesitz verbundenen Machtgefühl
liegt übrigens ein Erklärungs-
moment für den so häufig auf-
tretenden Geiz des hohen Lebens-
alters. Gewiß ist diese Tendenz
als Fürsorge für die nächste Gene-
ration zweckmäßig — so wenig
dieses Motiv gerade dem Geizhals
bewnßt zn sein Pflegt, der vielmehr
je älter er wird, um so wenigcr
an die Trennung von seinen
Schätzen denken mag. Mehr ist
der Umstand wescntlich, daß im
Alter einerseits die sinnlichen Sei-
ten des Lebens ihren Reiz vcr-
lieren, andrcrseits die Ideale dnrch
Enttäuschungen und Mangel an

h Iuniheft G09 309
 
Annotationen