Völkerkunde! Wo gelber Sand, gelber Lehm und gelbe Sonne dcn Nähr-
stoff des Auges ausmachen, wird auch die Phantasie zur Dichtung in gclb.
Napoleons Phantasie war politisch und ästhetisch in Ägypten zu Hause.
Es gibt Menschen mit graublauer Phantasie. Diese können Meereskinder
sein, aber auch Kinder des Schiefergebirges. Wenn sie Wanderungen
machen, dann werden sie vor irgendwelchen blaugraucn Steinen plöhlich
froh, ohne zu wissen, warum. Sie sind nach Hause gekommen! In
derselben Weise gibt es Kindcr der roten Erde und Kinder der blauen
Berge.-
Es gibt nichts Verwickelteres und Zusammengesetzteres als die Seele
eines Menschen, dessen Ahnen auf verschiedener Erde gclebt haben und
dcssen Iugendeindrücke gemischt waren und dessen inncre Lhemie gewisse
Mängel hat. Ein solcher Mensch gelangt, wenn er gesundcn Blutes ist,
zur Vielfarbigkeit und wenn cr schwachen Blutes ist, zur Farbenmüdigkeit.
Was ist das anderes, als eine Angst vor konzentricrter Nahrung des Auges?
Diese Angst wird dann Feinheit genannt!
Neue Schönheiten
.^k^as ist eigentlich das Schönste, was ich in der Welt gesehen habe?
-«VIch rede nicht von seelischen, unsichtbaren Schönheiten, auch nicht
von Menschenleibern und Menschenaugen, sondern von unpersönlichen
Dingen, von Landschaften und Bauwerken. Was ist das Schönstc? Nicht
frage ich: was hat im Augenblick des Schauens den größten Eindruck gc-
macht? sondern: Vas hat am nachhaltigsten als Vereicherung der Lebens-
freude gewirkt? Ich suche in dcr Mcnge dcssen, was ich glücklich war,
sehen zu können. Wie ein Wandelpanorama ziehen Landschaftsbilder
vorüber: Helgoland bei klarer Sonne, der Hafen von Hamburg im Sturm,
das Innere des Stephansdomes bei Abendbeleuchtung, der Blick vom Faul-
horn auf die Iungfrau, ein Morgen in Konstantinopel, die Aussicht vom
Berg Garizim auf das Moabitergebirge, der Eindruck Roms mit dem
Sonnenuntergang hinter St. Peter, die Rundschau vom Luftballon aus
über das Rheintal, ein Besuch der Brockenhöhe im Schnee, die schokoladene
Nilüberschwemmung, der Zauber des Freibergsees im Algäu — es will
nicht enden, es hört nicht auf, Pracht schiebt sich an Pracht, und soll ich
doch etwas herausgreifen, das das Allerschönste war, dann war es der
Südabhang des Atlasgebirges mit dem Ausblick auf die Sahara. Nicht
deshalb aber stelle ich diese Reihe von Eindrücken zusammen, um dic-
jenigen neidisch zu machen, die weniger sahen, sondcrn um an Beispielen
zu zeigen, an was für Gegenständen sich im Zeitalter des Verkehrs dcr
Geschmack für Naturschönheit bildet. Auch diejcnigen, die nicht sclber
Orient und Okzident durchpilgern, werden indirekt durch die Erfahrungen
derer bestimmt, die mehr gesehen haben als sie. Wir sind anspruchsvoll
geworden und verlangen große Zusammcnhänge. Alle kleinen Idhllc,
nette Burgen, pittoreske Wassermühlen, reizende Haine und Rosengarten
sind nicht mehr schön im eigentlichen Sinnc des Wortes. Man freut
sich noch an ihnen, aber sie sind doch nur Erquickungen zweitcn Grades.
Die Eisenbahn hat uns zur Anschauung größerer Objekte erzogcn nnd
hat dcn Bestand vergleichbarer Dinge unendlich erweitert. Damit ging
eine zweite Entwicklung parallel; wir gcwannen im Vergleichen den Sinn
258 Kunstwart XXII, s6
stoff des Auges ausmachen, wird auch die Phantasie zur Dichtung in gclb.
Napoleons Phantasie war politisch und ästhetisch in Ägypten zu Hause.
Es gibt Menschen mit graublauer Phantasie. Diese können Meereskinder
sein, aber auch Kinder des Schiefergebirges. Wenn sie Wanderungen
machen, dann werden sie vor irgendwelchen blaugraucn Steinen plöhlich
froh, ohne zu wissen, warum. Sie sind nach Hause gekommen! In
derselben Weise gibt es Kindcr der roten Erde und Kinder der blauen
Berge.-
Es gibt nichts Verwickelteres und Zusammengesetzteres als die Seele
eines Menschen, dessen Ahnen auf verschiedener Erde gclebt haben und
dcssen Iugendeindrücke gemischt waren und dessen inncre Lhemie gewisse
Mängel hat. Ein solcher Mensch gelangt, wenn er gesundcn Blutes ist,
zur Vielfarbigkeit und wenn cr schwachen Blutes ist, zur Farbenmüdigkeit.
Was ist das anderes, als eine Angst vor konzentricrter Nahrung des Auges?
Diese Angst wird dann Feinheit genannt!
Neue Schönheiten
.^k^as ist eigentlich das Schönste, was ich in der Welt gesehen habe?
-«VIch rede nicht von seelischen, unsichtbaren Schönheiten, auch nicht
von Menschenleibern und Menschenaugen, sondern von unpersönlichen
Dingen, von Landschaften und Bauwerken. Was ist das Schönstc? Nicht
frage ich: was hat im Augenblick des Schauens den größten Eindruck gc-
macht? sondern: Vas hat am nachhaltigsten als Vereicherung der Lebens-
freude gewirkt? Ich suche in dcr Mcnge dcssen, was ich glücklich war,
sehen zu können. Wie ein Wandelpanorama ziehen Landschaftsbilder
vorüber: Helgoland bei klarer Sonne, der Hafen von Hamburg im Sturm,
das Innere des Stephansdomes bei Abendbeleuchtung, der Blick vom Faul-
horn auf die Iungfrau, ein Morgen in Konstantinopel, die Aussicht vom
Berg Garizim auf das Moabitergebirge, der Eindruck Roms mit dem
Sonnenuntergang hinter St. Peter, die Rundschau vom Luftballon aus
über das Rheintal, ein Besuch der Brockenhöhe im Schnee, die schokoladene
Nilüberschwemmung, der Zauber des Freibergsees im Algäu — es will
nicht enden, es hört nicht auf, Pracht schiebt sich an Pracht, und soll ich
doch etwas herausgreifen, das das Allerschönste war, dann war es der
Südabhang des Atlasgebirges mit dem Ausblick auf die Sahara. Nicht
deshalb aber stelle ich diese Reihe von Eindrücken zusammen, um dic-
jenigen neidisch zu machen, die weniger sahen, sondcrn um an Beispielen
zu zeigen, an was für Gegenständen sich im Zeitalter des Verkehrs dcr
Geschmack für Naturschönheit bildet. Auch diejcnigen, die nicht sclber
Orient und Okzident durchpilgern, werden indirekt durch die Erfahrungen
derer bestimmt, die mehr gesehen haben als sie. Wir sind anspruchsvoll
geworden und verlangen große Zusammcnhänge. Alle kleinen Idhllc,
nette Burgen, pittoreske Wassermühlen, reizende Haine und Rosengarten
sind nicht mehr schön im eigentlichen Sinnc des Wortes. Man freut
sich noch an ihnen, aber sie sind doch nur Erquickungen zweitcn Grades.
Die Eisenbahn hat uns zur Anschauung größerer Objekte erzogcn nnd
hat dcn Bestand vergleichbarer Dinge unendlich erweitert. Damit ging
eine zweite Entwicklung parallel; wir gcwannen im Vergleichen den Sinn
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