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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1909)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0041
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Nun richteten sie ihre Werbungen an das Pferd, in der Hoffnung,
auf diesem Umwege die Gunst des Reiters zu erschmeicheln; liebkosten
dem Gaul den Hals, das Maul, das Krcuz, wagten sogar ab und zu den
Sattel und die Steigbügel anzurühren, bescheiden mit heiliger Scheu.
Ob dieser Beschäftigung erleuchtete den Gerold ein gescheitcr Einfall.
Er erinnerte sich, gelesen zu haben, ein Freier pflege seine Geliebte mit
heimlichen Geschenken zart zu übcrraschen, Blumensträußen und dcr--
gleichen. Einen Blumenstrauß besaß er leider nicht, wohl aber dcn
Fünffrankentaler vom Götti Statthalter. Den schob er nun mit fein--
fühliger Gebärde behutsam in den Pistolenhalfter des Sattels.

Da schoß der Dragoner mit dcm Kopf aus dem Fcnster wie dcr Tcufel
aus einer Schachtel. Was sie an seinem Gaul zu schaffen HLtten, wollte
er wissen; der gehöre ihm, nicht ihncn. Darauf nannte er den einen
einen Lausbuben, den andern einen Saububen und beide zusammen
Zwei Krötenbuben. Und wenn sie sich nicht sofort packten, werde er
herauskommcn und sie bei den Ohren nehmen.

Also mit Schimpf abgefertigt, trabten sie wieder von danncn, nicder-
geschlagencn Mutes, mit hangenden Köpfen. Neben der Schande der
verschmähten Licbeswerbung quälte den Kanonier noch das nutzlos ver--
schwendete Silberstück; nicht sowohl der Verlustschaden selber, als die
Gewissenssorge, ob er mit der Dahingabe eines geschenkten Gutes nicht
etwas Anrechtes begangcn habe, eine Versündigung gegen das achte Ge--
bot: „Du sollst nicht stehlcn." Ligentlich gestohlen war das ja nicht, allein
man hatte ihnen ja in der Schule so eindringlich bedcutet, daß die zehn
Gebote eine viel größere Tragweite hätten, als ihr Wortlaut zu sagen
schien; kaum daß man sich unvorsichtig bewegte, so hatte man sich gegen
eines der bösen Zehn versündigt. Zum mindesten hatte cr sich einer
leichtsinnigcn Verschlcudcrung schuldig gemacht; mithin war er ein Ver--
geuder wie der verlorene Sohn. »Gelt, du erzählst es keinem Menschen",
bat er seinen Bruder, nachdem er ihm, ohne den Geschwindlauf zu unter-
brechen, seine Missetat bckannt hatte. Das gemeinsame Mißgeschick crweichte
des Bruders Herz, so daß er ihm unverbrüchliches Schweigen gelobte.

»Wenn wir jetzt nur nicht zu allem noch die Post verfehlcn!" seufzte
Gerold und drängte zn verdoppelter Eile.

Waren sie weit gelaufen! Die Strecke wollte kein Ende nehmen.
„Dort kommt die Post!" ertönte Hanslis Schreckensruf. Richtig, un--
gefähr zehn Minuten von ihnen entfernt, erschien der Postwagen aus
der Clus und schwenkte, ihrcr verzweifelten Zeichen ungeachtet, nach der
Fricdlismühle, zwischcn dcn Bäumen vcrschwindcnd.

„Zu spät!" jammerten ihre Herzen.

Gerold stellte den Lauf ein und hielt dem Bruder eine Ansprache:
„Ietzt nur eincs nicht: nur ja nicht hitzig nachlaufen, nachdem es doch
einmal zu spät ist; das wäre das Anvernünftigste, was ein Mensch in
solchcm Falle tun kann. Denn sonst geschieht unfehlbar folgendcs: Sowie
der Postwagen merkt, daß man ihm nachläuft, bleibt er absichtlich stehen,
bis man ihm ganz nahcgekommen ist, dann auf cinmal fährt cr im
letzten Augenblick höhnisch davon, und je mehr man sich darüber ärgert,
desto mehr freut es ihn. Den Gefallen wollen wir ihm nicht tun. Also
nur ganz ruhig und gcmächlich im Schritt gehen, es kommt auf das
nämliche hinaus."

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