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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1909)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0042
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Das leuchtete dem Intanteristen ein, und so zogen sie langsam im
Schritt weiter, froh, dem tückischen Postwagen seine boshafte Schaden-
freude zu vereiteln.

Bald konnten sie ihn von weitem sehen, den abgefeimten Reisekasten,
wie er neben der Friedlismühle stillehielt, mit harmloser Miene, als
ob er auf sie wartete.

„Trau ihm nur nicht, dem falschen Frih!" warnte Gerold, „lah dich
nicht fangen! Er spekuliert einzig darauf, daß wir ihm nachrennen,
dann fährt er augenblicklich fort, darauf kannst du dich verlassen." Und
zum Trotz verlangsamten sie nochmals ihre Schritte.

Und immer, immer hielt er noch auf dem Fleck, der Hinterlistige, wie
angenagelt, so daß sie ihm, wie zögernd sie auch schlendern mochten,
trotzdem stetig näher und näher rückten. Äber diese Standhaftigkeit be-
schlich sie Verwundernng, und in der Verwunderung saß die Hoffnung.
„Weißt du, was ich glaube," rief Gerold, „wenn wir laufen wie der
Blitz, so kommen wir trotz allem noch rechtzeitig, aber so schnell als du
nur kannst." Änd mit gewaltigen Sprüngen begannen sie eincn Hetz-
lanf zu rennen. Da tönte ein Posthorn und klatschte eine Peitsche, und
wackelnd reiste der Postwagen in die Weite.

„Siehst du ihn jetzt, siehst du ihn, dcn gelben Salamander, den ver-
schmihten?" knirschte Gerold, „was habe ich dir gesagt? Sobald wir
anfingen zu rennen, so lachte er mit dem Schwanze und troddelte höhnisch
davon. Wären wir ruhig im Schritt weitsrgegangen, so hätten wir ihn
überrascht." Und in seiner Wut schleuderte er dem heimtückischen gelben
Betrüger seinen Säbel nach.

Hansli spottete über diese ohnmächtige Strafexekution. „Du bist genau
so verrückt wie Zkerxes, als er das Meer peitschen ließ." Gesagt und
warf seine Patrontasche hinter dem Säbel drein.

„Das eine Gute ist immerhin dabei," tröstete hansli, „jeht sind wir
wenigstens der Gesima los und ledig."

„Wieso?"

„Weil sie mit der Post davongefahren ist."

Die Tatsache mußte Gerold als wahrscheinlich zugeben; allein einen
merklichen Trost verspürte er nicht darin; eher fast das Gegenteil. Ob
sie gleich nur ein Mädchen war, so hatte er sich halt schon ein wenig
an Gesima gewöhnt, und mit einem Mal kam ihm die ganze Welt lang-
weilig und dumm vor.

„Und was jetzt wciter?" fragte Hansli.

„Mir einerlei", knurrte der Kanonier.

„Nach meiner Meinung gehen wir einfach zu Fuß nach Bischofshardt."

„Mir einerlei."

„O weh, da kommt die Therese, paß auf, jetzt gibt es eine Strafpredigt."

„Mir einerlei."

Es gab keine Strafpredigt, bloß eine milde Frage um Aufschluß über
ihr rätselhaftes Verhalten. Warum sie so langsam im Schneckentempo
angerückt wären, wie wenn sie es absichtlich darauf angelegt hätten, die
Post zu verfehlen. Zehn lange Minuten sei es ihr gelungen, den Postillon
hinzuhalten, aber länger habe sie es nicht verantworten können. Was
sie jetzt beginnen wollten? Das kleine Fräulein wäre der Ansicht, sie
könnten alle drei zusammen zu Fuß weiter; sie habe selber schon zweimal

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